Chávez stellt sich selbst als den Anti-Bush dar
Von Kevin Sullivan
Washington Post Foreign Service - Dienstag, 15. März 2005; Seite A01 - CARACAS, Venezuela – Mit dem Öl auf seiner Seite sucht der Venezolaner Verbündete gegen die USA. Präsident Hugo Chávez hat in letzter Zeit Präsident Bush beschuldigt, ihn töten zu wollen, hat sexuelle Andeutung über Außenministerin Condoleezza Rice gemacht, Fidel Castro auf Kuba besucht, ist im Fernsehsender Al-Dschasira über die Vereinigten Staaten hergezogen und ist nach Libyen gereist, um von Muammar Gaddafi einen Preis in Empfang zu nehmen.
Solches Toben und derartige anti-amerikanische Auftritte sind vom feurigen ehemaligen Fallschirmjäger nichts Neues. Aber seit Chávez in den vergangenen Monaten fieberhaft daran arbeitet, seinen Worten Taten folgen zu lassen, wächst die Besorgnis in Washington.
Seit er damit drohte, die Öllieferungen an die Vereinigten Staaten einzustellen, die 1,5 Millionen Barrel pro Tag von Venezuela kaufen, bereist Chávez die Welt auf der Suche nach neuen Märkten und Alliierten, mit denen er sich „gegen die imperialistische Macht“ verbünden kann. Er hat kürzlich Energieverträge mit Frankreich, Indien und China unterzeichnet; letzteres sucht derzeit nach neuen Bezugsquellen für Erdöl, um seine industrielle Expansion anzutreiben. Chávez hat auch eine Reihe von Waffenkäufen getätigt, darunter Militärhubschrauber aus Russland.
Am Freitag spielte Chávez für Präsident Mohammad Khatami vom Iran die Rolle des Gastgebers; der Iran betreibt ein geheimnisumwittertes Atomprogramm und wurde von Bush als Teil der „Achse des Bösen“ bezeichnet.
„Der Iran hat jedes Recht... die Atomenergie zu entwickeln und seine Forschungen auf dem Gebiet voranzutreiben”, sagte Chávez bei einem gemeinsamen Termin mit Khatami. „Weltweit wird Gleichheit gefordert... und werden die imperialistischen Wünsche der U.S.-Regierung aus tiefster Überzeugung zurückgewiesen. Angesichts der Bedrohung durch die U.S.-Regierung gegenüber unserem Brudervolk im Iran können sie sich auf unsere volle Unterstützung verlassen.“
Laut Gerver Torres, einem ehemaligen venezolanischen Regierungsminister, der jetzt eine private Entwicklungsagentur betreibt, beschreiben solche Aussagen eines der Hauptziele von Chávez. „Seine Hauptmotivation besteht zur Zeit darin, alles zu tun, womit er die Vereinigten Staaten und vor allem Bush negativ beeinflussen kann,“ sagte Torres. „Er versucht alle Feinde der Vereinigten Staaten zu vereinen. Er glaubt, dass die Vereinigten Staaten der Teufel sind.“
Obwohl U.S.-Analysten bezweifeln, dass Chávez es sich leisten könnte, seine Lieferungen an die Vereinigten Staaten – die 60 Prozent der Ölexporte von Venezuela abnehmen – drastisch zu reduzieren, achten sie dennoch genau auf seine Aussagen. U.S.-Senator Richard G. Lugar hat den U.S.-Rechnungshof (Government Accountability Office) aufgefordert zu untersuchen, welchen Einfluss ein plötzlicher Rückgang der Ölimporte aus Venezuela auf die amerikanische Wirtschaft hätte.
Obschon Chávez angedeutet hat, dass er „das Öl einsetzen“ würde, um die amerikanische Macht zu bekämpfen, haben andere venezolanische Regierungsbeamte die Beziehung aus einer viel sachlicheren Perspektive beschrieben. In einem Interview sagte Andrés Izarra, der Informationsminister von Chávez, dass Venezuela nicht vorhabe, kein Öl mehr an die Vereinigten Staaten zu verkaufen, die er als „unseren natürlichen Energiemarkt“ bezeichnete.
Laut Regierungsangaben produziert Venezuela 3,1 Millionen Barrel Öl pro Tag, aber unabhängige Analysten halten eine Ziffer von etwa 2,6 Millionen für realistischer. Laut Izarra beabsichtigt das Land, seine Ölproduktion in den nächsten fünf Jahren auf etwa 5 Millionen Barrel pro Tag zu erhöhen, womit mehr als genug Öl verfügbar wäre, um sowohl die USA als auch Neukunden wie China und Indien zu bedienen.
Dennoch haben die Kommentare und Handlungen von Chávez, darunter auch der Einkauf einer großen Menge von Waffen aus dem Ausland, zu scharfer Kritik von U.S.-Beamten geführt. Vor dem U.S.-Senat nannte Rice Chávez im Januar eine „negative Kraft in der Region“.
Die Waffenkäufe von Chávez in Russland, darunter 100.000 Kalaschnikow-Gewehre, haben auch zu Protesten vom U.S.-Außenministerium geführt. Chávez hat Militärflugzeuge von Brasilien gekauft und angekündigt, Radarausrüstung von China kaufen zu wollen.
In einer im Fernsehen übertragenen Rede beschrieb Chávez kürzlich seine Waffenkäufe und sein Vorhaben, die Reservetruppen der Armee zu vergrößern, als „eine ehrbare Antwort auf das Ziel von Präsident Bush, Herrscher der Welt zu sein“.
Chávez ist das lautstärkste und prominenteste Symbol einer anschwellenden Welle anti-amerikanischer Gefühle in Lateinamerika. Politische Führer in der Region sind zunehmend desillusioniert, weil die Rezepte Washingtons – Demokratie und eine freie Marktwirtschaft – es seit einem Jahrzehnt oder länger nicht geschafft haben, die Armut und die wirtschaftliche Ungleichheit zu lindern.
Sechs lateinamerikanische Länder, darunter seit kurzem auch Uruguay, werden von Präsidenten regiert, deren Ansichten in unterschiedlichem Maße mit denen Washingtons im Konflikt stehen. Ein weiterer Politiker mit stark ausgeprägten anti-Washington-Ansichten, der Bürgermeister von Mexiko-Stadt, Andrés Manuel López Obrador, gilt für die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr als Favorit, wodurch der Trend bis an die Ufer des Rio Grande vordringen würde.
Nachdem er die Opposition im eigenen Land in einem Abwahlreferendum im vergangenen August überzeugend geschlagen hatte und als Folge explosiv angestiegener Gewinne aus Weltölpreisen auf Rekordhöhe, trifft Chávez zunehmend Vereinbarungen mit Ländern in Lateinamerika, Europa, dem Mittleren Osten und Asien und stellt sich als eine Art Anti-Bush auf.
Vor kurzem forderte Chávez die Entwicklungsländer in einem Interview auf Al-Dschasira auf, sich gegen die politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen der USA zu verbünden. „Was können wir in Bezug auf die imperialistische Macht der Vereinigten Staaten tun? Uns bleibt keine andere Wahl, als uns zu verbünden“, sagte er. Energieallianzen mit Ländern wie Kuba, das billiges Öl erhält, seien ein Beispiel dafür, wie „wir das Öl in unserem Krieg gegen den Neoliberalismus“ einsetzen.
Oder, wie er bei anderer Gelegenheit formulierte, „Wir sind in die USA einmarschiert, aber mit unserem Öl.“
In dem Interview beschuldigte Izarra die USA „systematischer Angriffe und Aggressionen“ gegen Chávez, wobei er Behauptungen wiederholte, dass die USA an dem fehlgeschlagenen Putsch gegen Chávez in 2002 und an dem lähmenden Ölstreik 2002-2003 teilgenommen hätten. Rice und andere U.S.-Regierungsbeamte haben diese Behauptungen wiederholt zurückgewiesen.
Chávez hat seinen bissigsten Sarkasmus für Rice aufgespart, die er als „Condolencia“ bezeichnet, was „Beileid“ heißt. In öffentlichen Reden hat er sie als „erbärmlich“ und als Analphabetin bezeichnet und indirekte sexuelle Anspielungen gemacht. „Ich kann Condolencia nicht heiraten, denn ich bin viel zu beschäftigt“, sagte er vor kurzem in einer Rede. „Man hat mir gesagt, sie träume von mir“, sagte er bei anderer Gelegenheit.
Chávez behauptete im vergangenen Monat im Fernsehen, dass Castro ihn von einem Anschlag gewarnt habe, den Bush vorbereiten solle. U.S.-Beamte bezeichneten dies als lächerlich. Aber Chávez sagte, dass die Vereinigten Staaten “venezolanisches Öl vergessen“ könnten, falls er getötet würde, und drohte damit, die viertwichtigste Quelle U.S.-amerikanischer Ölimporte versiegen zu lassen. Die Chávez-Regierung hat begonnen, den Verkauf von Teilen von Citgo zu untersuchen, dem Ölvermarktungsunternehmen Venezuelas in den USA.
Viele glauben hier, dass Chávez von dem Tag träumt, an dem er die Öllieferungen an die USA stoppen kann und das Öl stattdessen an Länder verkaufen kann, die er für ihm freundlicher gesinnt hält. Chávez besuchte im Dezember Beijing und unterzeichnete Verträge über Öl- und Erdgasexploration, landwirtschaftliche Unterstützung sowie auf dem Gebiet des Baugewerbes. Er kam sogar mit chinesischen Führern überein, einen Kommunikationssatelliten ins All zu schießen.
Als Chávez vergangene Woche Indien besuchte, unterschrieben die beiden Länder einen Kooperationsvertrag im Energiesektor, wobei Chávez darauf hinwies, dass Venezuela ein „sicherer, langfristiger“ Öllieferant von Indien werden wolle. Auf dem Heimweg machte Chávez in Paris Station und vereinbarte mit Präsident Jacques Chirac, dass zusätzliche französische Investitionen in die venezolanische Ölindustrie getätigt werden sollten.
Ein Teil des Benzins, das Venezuela an die Vereinigten Staaten liefert, kommt von El Palito, einer Raffinerie etwa 320km westlich von Caracas. Die Menschen, die hier in einer kleinen Siedlung bunter Strandhäuser neben der Raffinerie wohnen, glauben nicht, dass Chávez jemals die Exporte an die USA stoppen wird. Aber in einem Land, das durch die Herrschaft von Chávez in zwei bitter geteilte Lager gespalten ist, stimmen sie bei wenigen anderen Themen überein.
„Er zerstört das Land“, sagte Carlos Rodriguez, ein Ladeninhaber. „Die Ölpreise sind höher als je zuvor, aber es gibt mehr Armut und mehr Kriminalität. Dann fliegt er in andere Länder und bietet ihnen Dinge, die er uns nicht bietet.“
Aber einige Meter weiter am Strand sagte Jaime Mendez, ein Fischer: „Wir sind alle auf der Seite von Chávez, weil der den einfachen Menschen hilft. Er möchte mit den Vereinigten Staaten keine Schwierigkeiten haben. Er versucht, Dinge zu erreichen, aber sie lassen ihn nicht arbeiten.“
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