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Die jüngere Geschichte Venezuelas: Eine neue Betrachtung überlieferter Ansichten

Von Moises Naim, April 2001

"Praktische Männer, die von sich glauben, frei von allen intellektuellen Einflüssen zu sein, sind üblicherweise die Sklaven irgendeines verstorbenen Ökonomen. Verrückte Machthaber, die Stimmen hören, destillieren ihren Rausch aus den Schriften eines akademischen Schreiberlings der jüngeren Vergangenheit. Ich bin mir sicher, dass die Macht der persönlichen Interessen verglichen mit dem langsamen Vordringen von Ideen weit übertrieben ist... Jedoch sind es – früh oder spät – Ideen und nicht persönliche Interessen, die eine Gefahr für Gut oder Böse bedeuten..." - John Maynard Keynes. The General Theory of Employment, Interest, and Money, London: 1936.

Die Machterlangung des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez als Nachweis für eine sich zusammenbrauende Reaktion gegen die Globalisierung, den Kapitalismus nach amerikanischer Manier, die Korruption und die Armut anzusehen ist zu einem Klischee geworden. Seine feurige Antiglobalisierungsrhetorik, seine starke Allianz mit Fidel Castro, seine Annäherung an Saddam Hussein sowie an Muammar Gaddafi, sein Antiamerikanismus sowie seine freundlichen Ouvertüren gegenüber der Guerilla in Kolumbien sowie anderen Rebellenbewegungen in Lateinamerika haben die Aufmerksamkeit der Welt erregt.2 Die Begeisterung, mit der venezolanische Wähler die Antikorruptions- und Antiglobalisierungsbotschaft von Chávez aufnehmen, wird als handfester Beweis für ein weitverbreitetes Empfinden angesehen, das weltweit einen Nachhall hervorruft.

Viele betrachten das venezolanische Beispiel ferner als Sinnbild der Reaktion des Volkes auf die langwährende, exklusive Machtkonzentration in den Händen einer kleinen Oligarchie korrupter Politiker und ihrer Verbündeten aus der Geschäftswelt. Vor allem wird die Situation in Venezuela aber als Frühwarnsignal für die weltweite Gegenbewegung gegen die politischen Ideen, wirtschaftlichen Politiken und internationalen Beziehungen angesehen, die die 1990er dominierten, nämlich die liberale Demokratie, Marktreformen und Globalisierung.

Bei näherer Betrachtung offenbart das venezolanische Beispiel allerdings ganz andere Schlussfolgerungen. Erstens – und dies steht im Gegensatz zur allgemein verbreiteten Meinung – hat das Land unter unzureichender Integration mit dem Rest der Welt gelitten. Das Problem Venezuelas liegt nicht in zu viel Globalisierung, sondern vielmehr in zu wenig. Ähnlich verhält es sich bei den gegenwärtigen wirtschaftlichen Problemen und der sozialen Verschlechterung, die nicht Folge von Marktreformen, sondern Konsequenz mangelnder wirtschaftlicher Reformen sind. Ferner ergab sich das Verschwinden des Parteiensystems, welches die venezolanische Politik für mehr als vier Jahrzehnte dominierte, nicht aus dem plötzlichen Zusammenbruch wie dem der Sovietunion als Folge einer übermäßigen Machtkonzentration in den Händen einer kleinen Politikerclique. Vielmehr geschah dies als Folge der Dezentralisierung politischer und wirtschaftlicher Macht, die in den späten 1980er Jahren eingeleitet wurde. Der Aufstieg von Chávez ist eher auf die langfristige Verwässerung der politischen Macht zurückzuführen, die Accion Democrática (AD) und COPEI (die wichtigsten beiden politischen Parteien) innehielten als auf deren übermäßige Machtkonzentration während der 1990er. Ferner ist zu konstatieren, dass – obwohl die Korruption weit verbreitet war und noch immer ist, und obwohl sie eine fast unüberwindbare Hürde für den Fortschritt darstellt – das Land und vor allem die Armen einen hohen Preis für die nationale Besessenheit mit der Notwendigkeit ihrer Auslöschung bezahlt haben. Die Korruption als Idee ist eine ebenso große Beschränkung der Entwicklung von Venezuela wie die Korruption selbst. Schließlich ist festzuhalten, dass – im krassen Gegensatz zur Rhetorik von Chávez und der Wahrnehmung einiger ausländischer Beobachter – die Grundsätze seiner Politik die sozialen Bedingungen gerade für die Armen deutlich verschlechtert haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Ära Chávez zu größerem Wohlstand und größerer Freiheit für die Armen Venezuelas führt, ist gering. Es ist anzunehmen, dass das Versagen der Chávez-Regierung bei der Erfüllung ihrer Versprechen eines besseren Lebens für die Mehrheit zu politischer Instabilität führen wird, die die Erodierung der Bürgerrechte zur Folge haben könnte.

Ein Land, das von Armut heimgesucht und von politischer Instabilität erschüttert wird, bietet nicht gerade die beste Basis für die Verbreitung einer politischen Botschaft, die von Bürgern anderer Länder angenommen würde. Unglücklicherweise beweist die Geschichte, dass wirtschaftliches Versagen und politische Unterdrückung nicht immer Hindernisse für die internationale Beliebtheit der sie verursachenden Regierungen darstellen. Es ist daher, wenngleich unwahrscheinlich, so doch nicht unmöglich, dass die Ideen und Ansätze von Chávez zu einem Modell für Politiker in der ganzen Welt werden, die dringend nach einer Alternative zum sozioökonomischen Modell suchen, das in den 1990ern weite Verbreitung fand.

Die Missdeutung Venezuelas

Einer der Gründe, warum die venezolanische Erfahrung so häufig missdeutet worden ist, liegt darin, dass Venezuela während vieler Jahrzehnte in den Augen internationaler Analysten zu langweilig war. Ausländische Akademiker und Journalisten, die sich für die Politik und Wirtschaft der Unterentwicklung interessierten, sahen in Venezuela nicht die intellektuellen Herausforderungen, auf denen sich ein Ruf begründen und eine Karriere aufbauen ließe3. Tatsächlich wirkte die Stabilität Venezuelas im Vergleich mit den Umbrüchen im übrigen Lateinamerika blass und farblos. Während in Zentralamerika Kriege wüteten, herrschte in Venezuela vollkommener Friede. Während Militärdiktatoren in der gesamten Region die Freiheit beschnitten und ihre Gegner „verschwinden ließen“, wurden in Venezuela alle fünf Jahre friedliche und faire Wahlen bestritten, bei denen die Opposition tatsächlich die Regierungspartei ersetzte. Während im überwiegenden Rest Lateinamerikas Hyperinflation, hohe Arbeitslosigkeit und unverantwortliche Wirtschaftspolitik üblich waren, schien die vom Erdöl getragene venezolanische Wirtschaft gegenüber den wirtschaftlichen Katastrophen immun, die seine Nachbarn heimsuchten. Während die unvorstellbare Armut und Verzweiflung, die in der Region üblich waren, zahllose Romane, Dissertationen und journalistische Meldungen anregten, schienen selbst die Armen in Venezuela besser dran als ihre lateinamerikanischen Leidensgenossen.

Erst in den 1990ern wurde Venezuela plötzlich interessant. Während dieses Jahrzehntes gab es den Versuch großangelegter wirtschaftlicher Reformen, beispiellose öffentliche Unruhen, wiederholte Putschversuche seitens des Militärs, die Amtsenthebung und Inhaftierung eines gewählten Präsidenten und die Anklage eines ehemaligen Präsidenten, der ins Exil ging. Ferner fand eine der weltweit teuersten Bankenkrisen statt sowie der meteorenhafte Aufstieg des ehemaligen Putschisten Hugo Chávez und die Einführung einer neuen Verfassung.

Noch bedeutsamer war, dass die beiden politischen Parteien, die während mehr als fünf Jahrzehnten die Grundlage der venezolanischen Demokratie gebildet hatten, fast ihren gesamten Einfluss einbußten – wie auch die gesellschaftliche Elite des Landes in Form seiner Geschäftsleute, Arbeitnehmervertreter und Intellektuellen. Gleichzeitig erschien eine Gruppe bisher unbekannter politischer Akteure sowie noch nie dagewesene Spielregeln. Wahlen und Volksentscheide häuften sich, doch dank der außergewöhnlichen Beliebtheit von Präsident Chávez bei den Wahlen und dem Zusammenbruch der Opposition begann das einundzwanzigste Jahrhundert mit der größten Machtkonzentration in vier Jahrzehnten4. Die Exekutive, Legislative sowie die Judikative und die meisten Landes- und Kommunalverwaltungen, die Zentralbank und die Ölindustrie (die über 80 Prozent zu den Exporten des Landes beiträgt) haben ihre gesamte Autonomie eingebüßt und unterstehen der direkten und aktiven Kontrolle des Präsidenten. Auf der Grundlage eines nationalen Volksentscheids am Ende des Jahres 2000 gewann Präsident Chávez die Autorität, die Confederación de Trabajadores de Venezuela (CTV), den traditionellen Gewerkschaftsbund, neu zu organisieren und ihr Führungspersonal zu verdrängen, um – so die Hoffnung – seine Gefolgsleite einzusetzen. Das Militär hat ein beispielloses Maß an Einfluss gewonnen, so dass jetzt Offiziere die wichtigsten Positionen in der Regierung besetzen. Die militärische Ausbildung ist jetzt Pflichtfach an allen Sekundarschulen, und die Geschichtsbücher werden umgeschrieben5. Auf dem internationalen Parkett hat Kuba die Vereinigten Staaten als engster Verbündeter der venezolanischen Regierung ersetzt, und es gibt häufiges Säbelrasseln gegenüber den Regierungen der Nachbarländer Kolumbien und Guyana.

Am Ende der 1990 fand in Venezuela ein weiterer Vorgang erstmalig statt: eine massive Auswanderungswelle. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es in Venezuela – im Gegensatz zu den meisten anderen lateinamerikanischen und karibischen Ländern – keine bedeutende Emigration. Seit der ersten Hälfte der 1990er suchte ein beispielloser Anteil der Mittelschicht sein Heil im Ausland und versuchte damit einer Kriminalitätsrate zu entkommen, die sich seit 1990 verdoppelt hatte, womit Venezuela bezogen auf Gewaltverbrechen an sechster Stelle stand; gleichzeitig war die wirtschaftliche Not so groß, dass sie selbst die enormen finanziellen Gewinne überstieg, die sich aus den hohen Erdölpreisen ergaben. Passenderweise erhielt das Land nun sogar einen neuen Namen: Laut der neuen Verfassung, die 1999 übernommen wurde, heißt es jetzt die Bolivarianische Republik Venezuela.

Die jüngere Geschichte Venezuelas: Überlieferte Ansichten

Die übliche Beschreibung von Venezuelas Weg zu seiner höchst problematischen Gegenwart folgt in etwa den folgenden Linien: Venezuela ist unter den neuen Märkten eines der reichsten Länder, ein Land, das mit Schätzen aller Art gesegnet ist – an erster Stelle mit riesigen Erdölreserven. Dieser nationale Reichtum hätte eine reichere Bevölkerung sowie eine entwickelte Wirtschaft und Gesellschaft hervorbringen können. Stattdessen schaffte es eine kleine Elite, den Großteil des Reichtums an sich zu reißen. Diese Konzentration wirtschaftlicher und politischer Macht führte zu einem Land mit abstoßender Armut und skandalöser Ungleichheit. Die Situation wurde noch komplizierter, nachdem in den frühen 1990ern wirtschaftliche Reformen oktroyiert wurden, die dem privaten Sektor und ausländischen Investoren auf Kosten der Armen nutzten. Diese Reformen wurden nicht nur ohne Befragung der venezolanischen Bevölkerung eingeführt, sondern durch die Regierung von Carlos Andrés Pérez in Zusammenarbeit mit dem IWF, der Weltbank und den Vereinigten Staaten „von oben“ auferzwungen. Das neoliberale Modell wurde begleitet von der gewohnten tödlichen Dosis von fiskalischer Strenge, die Kürzungen der öffentlichen Budgets und Subventionen erzwang, die den Armen zugute kamen. Außerdem führte das Modell zu groß angelegten Privatisierungen, die wertvolle nationale Ressourcen an Ausländer übertrugen, die daraufhin Tausende von Arbeitsstellen abbauten, sowie zur Liberalisierung des Handels und der ausländischen Investitionen, wodurch das Land anfälliger gegenüber den Launen der internationalen Märkte und der Globalisierung wurde. Die Kombination von Korruption, finanzieller Deregulierung und Globalisierung schaffte die Bedingungen für die Bankenkrise, die Mitte der 1990er über das Land hereinbrach. Auch diese Krise schadete wiederum der Mittelschicht und den Armen, während sich korrupte Bankiers bereicherten und dann mit ihrer Beute aus dem Land flohen.

Bereits vor dem Bankenzusammenbruch waren jedoch die Menschen im Protest auf die Straßen gezogen. 1989 erfuhr das Land seine schlimmsten Unruhen seit Jahrzehnten, in denen die Menschen gegen neoliberale Reformen protestierten, die, obwohl sie im Sinne des Washingtoner Konsenses waren, bei weitem nicht dem Konsens in der venezolanischen Bevölkerung entsprachen. Diese weitverbreitete Unzufriedenheit in der Bevölkerung nutzte der damalige Lt. Col. Hugo Chávez, der gemeinsam mit drei anderen Offizieren einen Putsch gegen den Präsidenten Carlos Andrés Pérez anführte. Obwohl der Putschversuch misslang, hatte er einen politischen Umbruch zur Folge, der 1998, also einige Jahre später, zur demokratischen Wahl von Chávez führte. Dieser erlangte die Präsidentschaft dank der begeisterten Unterstützung der Mehrheit der Wähler, die der korrupten Demokratie nach Art von Acción Democrática und COPEI, der neoliberalen Reformen, die nur den Reichen nützten, sowie der weitverbreiteten Armut, die in einem so reichen Land durch nichts zu rechtfertigen war, überdrüssig waren.

Was stimmt an dieser Zusammenfassung nicht?

Zwar ist es zutreffend, dass Venezuela ein Land mit weitverbreiteter Armut und tief verwurzelten Ungerechtigkeiten ist, das während einer zu langen Zeit von unfähigen und korrupten Politikern regiert wurde, die die Schätze des Landes zusammen mit raffgierigen und gleichermaßen korrupten wirtschaftlichten Eliten plünderten. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Bei näherer Betrachtung der Aussagen, die üblicherweise zur Erklärung von Venezuelas gegenwärtiger Situation angeführt werden sowie der zugrundeliegenden Faktoren, ergibt sich ein etwas anderes Bild.

Venezuela ist ein reiches Land

Laut einer Umfrage, die im August 2000 durchgeführt wurde, glauben etwa 90 Prozent der Venezolaner, dass diese Aussage wahr ist. Im Einzelnen glauben 82 Prozent, dass Venezuela “das reichste Land der Erde“ ist7. Die Aussage wird in fast allen Veröffentlichungen zum Thema Venezuela erwähnt und ist im nationalen Diskurs allgegenwärtig. Speziell bezieht sich der Hinweis natürlich auf den Ölreichtum des Landes und auf seinen potenziellen Reichtum an Mineralien. Die Realität sieht jedoch so aus, dass die abnehmenden Öleinnahmen zusammen mit den wachsenden Anforderungen einer zunehmenden Bevölkerung und der mangelnden Entwicklung anderer wirtschaftlicher Aktivitäten trotz den gelegentlich für kurze Zeit auftretenden hohen Gewinnen aus dem Öl unzureichend sind, um Venezuela zu einem reichen Land zu machen. 1974 trug das Öl pro Person $1540 zu den Regierungseinnahmen bei und entsprach damit mehr als 80% der Gesamteinnahmen. Zwanzig Jahre später trug es nur noch $200 pro Person bei und entsprach weniger als 40 Prozent der fiskalischen Gesamteinnahmen8. In der vergangenen beiden Jahrzehnten war die Armut – und nicht der Reichtum – die charakteristische Eigenschaft des Landes. Heutzutage leben mehr als 68% aller Venezolaner unterhalb der Armutsgrenze. Kein anderer Staat in Lateinamerika, mit der Ausnahme von Chile unter Allende in den frühen 1970ern und wieder unter Pinochet in 1982, hat eine größere und schneller Zunahme der Armut erfahren als Venezuela9. In den vergangenen 20 Jahren hat die kritische Armut sich verdreifacht und die Armut im Allgemeinen sich mehr als verdoppelt. Seit 1980 haben in Lateinamerika nur Nicaragua, Haiti und Guyana eine schlechtere Wirtschaftsleistung erbracht als Venezuela. Vor dreißig Jahren war das Pro-Kopf-Einkommen in Venezuela höher als in Japan; vor 20 Jahren entsprach es ungefähr dem von Spanien. Bis 1980 hatte Venezuela die am schnellsten wachsende Wirtschaft des 20. Jahrhunderts. Heute ist das reale Pro-Kopf-Einkommen so hoch wie zuletzt 1962. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 15 Prozent, und 45 Prozent aller Arbeitsstellen stammen aus dem Bereich der „informellen“ Wirtschaft. Die realen Gehälter sind 70 Prozent niedriger als 1980. Der private Sektor ist ebenfalls geschrumpft. Zehntausende kleiner und mittlerer Betriebe haben ihr Geschäft aufgeben müssen, während die Mehrheit der einst mächtigen Wirtschaftskonzerne entweder verschwunden ist oder als Bruchteil seiner vormaligen Größe überlebt hat10. Betriebe im staatlichen Eigentum aus Bereichen, in denen das Land über einen Wettbewerbsvorteil verfügen soll – wie Stahl, Aluminium oder Petrochemie – überleben entweder dank enormer staatlicher Subventionen oder tragen nur geringfügig zu Einkommen und Beschäftigung im Lande bei. Venezuela mangelt es an der menschlichen und physischen Infrastruktur, um es zu einem reichen Land zu machen, und das Öl und die mineralischen Bodenschätze haben sich eher als Hindernis denn als Vorteil für die Herstellung der Bedingungen herausgestellt, die dem Land den Weg in eine stabilere, wohlhabende Zukunft weisen könnten. Die Erfahrungen des Landes sind eine eindeutige Bestätigung der allgemeinen Regel, dass der Reichtum an natürlichen Ressourcen das Schmarotzertum fördert und die Entwicklung behindert11. Sie bestätigen auch die Feststellung des uruguayanischen Schriftstellers Eduardo Galeano, dass „Die Armut Lateinamerikas in seinem großen Reichtum an natürlichen Ressourcen begründet12“ liegt. Dem steht die politisch explosive Tatsache gegenüber, dass 90 Prozent der Venezolaner noch immer glauben, in einem reichen Land zu leben.

Die Korruption ist die Hauptursache für die sozialen und wirtschaftlichen Probleme Venezuelas

Auch hiervon ist die große Mehrheit der Venezolaner fest überzeugt. Wenn das Land reich ist und sein Reichtum dem Staat gehört, die Bevölkerung jedoch arm ist, dann muss jemand den Reichtum gestohlen haben. Dieser „Jemand” sind offensichtlich „die Politiker“ und „die Reichen“.13 Folglich wird die Korruption zum überragenden Thema in der Psyche des Landes, und das Misstrauen gegenüber der Regierung ist eine weitverbreitete, oft gerechtfertigte Einstellung. Dem entspricht die Überzeugung, dass eine kleine Elite sich unrechtmäßig den Reichtum des Landes angeeignet hat – auf Kosten der Armen14. Daraus folgt das unermüdlich wiederholte, selten überprüfte und tief verankerte Mantra, dass in Venezuela die Korruption das größte – oder sogar das einzige – Hindernis auf dem Weg zum Wohlstand ist. Das Volk erwartet, dass der Reichtum – der ja bereits vorhanden ist – sich unmittelbar und mühelos in der Gesellschaft ausbreitet, sobald die Korruption beseitigt worden ist. Seit vielen Jahren haben Politiker, die Medien und das Erziehungssystem diese Erwartung genährt und erweitert. Die Beseitigung der Korruption wurde daher zum wichtigsten politischen Versprechen, zum höchsten Programmziel und zur beliebtesten Entwicklungsstrategie Venezuelas. Währenddessen hat sich die Korruption ungezügelt ausgebreitet, nicht zuletzt aufgrund politischer Maßnahmen, die sie anregten, indem sie sich auf die Ehrbarkeit von weitgehend unkontrollierten Beamten und die überaus umfassende Rolle des Staates verließen. Paradoxerweise hat die nationale Fixierung auf die Korruption zu ihrer Gesellschaftsfähigkeit beigetragen, da angenommen wird, dass „es jeder tut“ und weil sie ungestraft ausgeübt werden kann. Ferner wird die Korruption oft mit dem Argument gerechtfertigt, dass sie die einzige Möglichkeit darstellt, sich den einem selbst zustehenden Teil des Reichtums des Landes anzueignen, einen Teil, der ansonsten ohnehin von anderen gestohlen würde15. Für einige stellt die Korruption den schnellsten und einfachsten Weg dar, reich zu werden; für viele bietet sie die einzige Möglichkeit, überhaupt über die Runden zu kommen. Es ist nicht überraschend, dass die moralische Verurteilung der Korruption nicht im Geringsten zu ihrer Dämpfung beigetragen hat. Trotzdem stellt eine solche Verurteilung selbst nach Jahrzehnten des Versagens das einzige Mittel dar, das den Führungskräften und Wählern des Landes in den Sinn kommt, um die Korruption zu bekämpfen.

Die Überzeugung, dass die Korruption die Hauptverantwortung für die Probleme des Landes trägt, ist für die mangelnde politische und wirtschaftliche Stabilität Venezuelas von zentraler Bedeutung. Die nationale Diskussion zur Bekämpfung der Armut reduziert sich auf die Notwendigkeit, die Korruption zu beseitigen. Die politischen Maßnahmen und Institutionen, die für die Generierung neuen Wohlstands oder zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit des Landes notwendig sind, erhalten vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit. Die moralische Verurteilung [der Korruption] in Verbindung mit Versprechen, sich ethisch einwandfrei zu verhalten, erhalten mehr Unterstützung und werden bereitwilliger angenommen als jeder andere Vorschlag über politische Maßnahmen. Die Wahrnehmung der Ehrlichkeit wird zur einzig relevanten Qualifikation für die Rekrutierung und Benennung von politischen Führungskräften; die vermutete Ehrlichkeit bannt alle Bedenken hinsichtlich eines Mangels an fachlichen Qualifikationen oder an technischer Kompetenz, wenn es um die Einsetzung von Beamten geht. Vorschläge zur Erzeugung von Wohlstand oder zur Reformierung von Richtlinien, die die Korruption verstärken, werden selten vorgeschlagen oder einfach von dem Kreuzzug gegen die Korruption überwältigt.

Während seiner zweiten Amtszeit Mitte der 1990er setzte Rafael Caldera zum Beispiel einen „Ausschuss des Präsidenten zur Bekämpfung der Korruption“ ein, den er jedoch weder mit viel Macht noch mit vielen Ressourcen versah; der Ausschuss gab nach einigen Jahren seine Aktivitäten auf, ohne viel erreicht zu haben. Präsident Caldera bestand auch darauf, die Korruption zum zentralen Thema des Ibero-Amerikanischen Gipfeltreffens von 1997 in Venezuela zu machen, obwohl die anderen Staatschefs sich mehr dafür interessierten, Initiativen zur Förderung des Handels, der Investitionen und der wirtschaftlichen Integration ihrer Länder zu diskutieren. Trotzdem führte Caldera neben seiner Kampagne gegen die Korruption wieder Preis- und Währungskontrollen sowie verschiedene andere Regierungsinitiativen ein, die offensichtlich die Korruption beförderten. Seine Regierung erwies sich darüber hinaus auch als besonders unwirksam in ihren Versuchen, die vielen Regulierer und Bankiers zur Verantwortung zu ziehen, die für die massive Bankenkrise verantwortlich waren. Trotz Calderas wiederholten Versprechen, auch nicht eine einzige korrupte Handlung unbestraft zu lassen und trotz seinen unablässigen Predigten zum Thema der sauberen Regierungsführung war die Korruption während seiner Amtszeit weit verbreitet und wurde nicht bestraft.

Obwohl die Korruption zweifellos ein wichtiger Einflussfaktor für die Armut und Ungleichheit in Venezuela war und auch in Zukunft sein wird, müssen die fundamentalen Ursachen für die trostlose soziale und wirtschaftliche Leistung des Landes in Wirklichkeit anderswo gesucht werden. Eine fehlgeleitete Politik, erschreckend unfähige Institutionen, widrige internationale Umstände, eine inkompetente Führung und die schädlichen Auswirkungen einer erdölbasierten Wirtschaft haben eine viel wichtigere Rolle gespielt als die Korruption. Es ist zwar zutreffend, dass eine fehlgeleitete Politik, schwache Institutionen und eine ruchlose Führung in vielen Fällen von der Korruption bestimmt oder unterstützt wurden. Die Korruption ist aber ein Symptom und keine Ursache der Probleme des Landes. Im Verlauf der vergangenen 20 Jahre hat die allzu einseitige Ausrichtung auf die Korruptionsbekämpfung Bemühungen geschwächt oder blockiert, die Politik und ihre Institutionen zu reformieren, das Land an sich wandelnde internationale Bedingungen anzupassen und die Teufelskreise zu durchbrechen, die die Politik des Landes behindert haben. So, wie die wirtschaftliche Dominanz des Erdöls die Entwicklung anderer Branchen unterdrückte, so hat auch die Dominanz des Korruptionsthemas in der nationalen Diskussion die Entwicklung und Generierung von Ideen unterdrückt, die zum Umgang mit den drängenderen Problemen des Landes beigetragen hätten.

Die Unruhe in Venezuela ist eine Folge der übermäßigen Machtkonzentration in den Händen traditioneller Eliten

In der Vergangenheit war die übermäßige Konzentration der politischen und wirtschaftlichen Macht tatsächlich ein Problem für Venezuela. Als Reaktion auf die Konzentration und als Konsequenz aus der Unfähigkeit derjenigen, die die Macht hatten, galt für die späten 1980er und den größten Teil der 1990er jedoch das Gegenteil.

Tatsächlich waren die Ausbreitung neuer Machtzentren vor allem auf der kommunalen Ebene, der wachsende Einfluss von Bürgerorganisationen und Nachbarschaftsvereinigungen, das Verschwinden der Parteidisziplin, die Schwächung und sogar das Verschwinden von politisch einflussreichen Konzernen und Gewerkschaften sowie die Balkanisierung der Politik in den 1990ern für Venezuela kennzeichnend. Die Instabilität, der völlige Stillstand und die Unfähigkeit, auf neue Realitäten sowohl im Land als auch außerhalb zu reagieren, ergaben sich aus der übermäßig großen Anzahl schwacher politischer Akteure – und nicht aus einer zu geringen Anzahl mächtiger Akteure.

Der Untergang des venezolanischen Zweiparteiensystems folgte vor allem aus der Unfähigkeit der Parteispitzen, angemessen auf die Veränderungen zu reagieren, die sich ab 1989 aus dem Ende des Kalten Krieges, aus niedrigen Ölpreisen und aus dem Prozess der politischen Dezentralisierung ergaben. Die Hauptparteien Acción Democrática und COPEI schienen einst unbezwingbar und gebrauchten und missbrauchten ihre Macht hemmungslos. Ihre breite politische Basis, landesweite politische Organisation und Parteidisziplin, durch die die Mitglieder der jeweiligen Partei auf die Pläne der Führung reagierten, machten sie zu machtvollen Wahlmaschinen. Die interne Bindung der Parteien ergab sich jedoch nicht aus der Ideologie, sondern vielmehr aus der Aussicht auf Regierungsgefallen und –jobs. Der grundlegende – und oft der einzige – Mechanismus, den die Parteiführung zur Sicherung der Disziplin von Mitgliedern einsetzte, war die Möglichkeit, den Zugang zu Staatsressourcen zu kontrollieren, und nicht die auf der Mitgliedschaft beruhende Loyalität oder die ideologische Verbundenheit mit den Grundsätzen der Partei. Wenn sie an die Regierungsmacht kamen, verwalteten die Leiter und Beamten von Acción Democrática und COPEI das Land, indem sie sich einfach auf die Erdöleinnahmen, ihre Dominanz in den Wahlen und die geopolitischen Sicherheiten aus der Rivalität der Supermächte verließen. Mit der Zeit sanken jedoch die Öleinnahmen und das Land verschuldete sich hochgradig. Während das Ende des Kalten Krieges und die Globalisierung das internationale Umfeld veränderten, führten die Verstädterung, die Einwanderung aus den Nachbarländern sowie demographische Verschiebungen zum Wandel des nationalen Umfelds. Außerdem wurden 1989 Direktwahlen für die Gouverneure der Provinzen, die Bürgermeister und alle kommunalen Verwaltungen eingeführt, die bis zu diesem Zeitpunkt einseitig vom Präsidenten und der Regierungspartei ernannt worden waren. Nach den 1980ern sahen sich die Parteien also mit geringerem Öleinnahmen zur Weiterverteilung sowie wachsender Nachfrage nach sozialen Dienstleistungen und physischer Infrastruktur konfrontiert, während chronische Finanzkrisen Kürzungen der öffentlichen Ausgaben zur Folge hatten. Ferner hatten Acción Democrática und COPEI auch mit langen Rezessionen, Inflation, Währungsverfall, Arbeitslosigkeit, Kapitalflucht und der Bankenkrise zu kämpfen, also mit Schwierigkeiten, die die wirtschaftliche Stabilität und das gleichmäßige, schnelle Wachstum ersetzten, an die sich das Land gewöhnt hatte16. Außerdem bedeutete die politische Dezentralisierung, dass der Ruf und das persönliche Charisma der Kandidaten für Posten in Provinz- und Kommunalregierungen wichtiger wurden als die Unterstützung der Partei. Angesichts dieser neuen politischen Verhältnisse wurde es weitaus wichtiger, die Wähler vor Ort zu befriedigen als die Parteieminenzen zufrieden zu stellen. Letztere hatten aufgrund der Finanzkrisen ohnehin an Einfluss verloren hatten und sahen sich zusehends in ihren Möglichkeiten eingeschränkt, Kandidaten zu unterstützen oder die Loyalität gegenüber der Partei zu belohnen. Vor allem aber stand Acción Democrática und COPEI eine wutentbrannte Wählerschaft gegenüber, die sich nach der reicheren Vergangenheit zurücksehnte und die nicht bereit war, uneingelöste Versprechen und die sich konstant verschlechternden sozialen Bedingungen länger hinzunehmen.

Wenngleich zahlreiche Beschreibungen der politischen Verhältnisse in Venezuela in den 1990ern diesen Zeitraum dadurch gekennzeichnet sehen, dass die beiden Parteien die Macht fest im Griff hatten, so steht diesem die Wirklichkeit entgegen: Das Jahrzehnt war geprägt von einer extremen Volatilität bei den Wahlen, in denen Wähler jede Gelegenheit nutzten, die Machthaber zu bestrafen – unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit17. Bis in die späten 1990er hinein, als Hugo Chávez gewählt wurde, mussten Regierungen mit schwachen Mandaten sich um tiefe wirtschaftliche Krisen, zunehmende Unruhe in der Zivilgesellschaft, zwei fehlgeschlagene militärische Putschversuche, eine fragmentierte Politik und die Vervielfältigung neuer Zentren politischer Macht kümmern, die sich aus dem Wettbewerb um nationale Anerkennung und Einfluss ergab, den beliebte Gouverneure und Bürgermeister austrugen18. So wurde aus dem, was für fast ein halbes Jahrhundert eine unerlässliche Voraussetzung für den Sieg in fast allen Wahlen in Venezuela gewesen war, nämlich die Unterstützung durch Acción Democrática oder COPEI, in den 1990ern zu einer politischen Last. Selbst Rafael Caldera, Gründer und Parteivorsitzender von COPEI, verließ seine Partei, um sich 1994 um die Präsidentschaft zu bewerben, die er mit der Unterstützung zahlreicher linker Splittergruppen gewann, die er sein ganzes Leben bekämpft hatte.

Neoliberale Wirtschaftsreformen und die sich daraus ergebenden harten sozialen Folgen stürzten die venezolanische Politik und Gesellschaft ins Chaos

Das Problem bei diesem Argument liegt darin, dass keine Regierung es schaffte, nachhaltige Wirtschaftsreformen einzuführen, obwohl jede von ihnen es seit den frühen 1980ern versuchte. Wie Javier Corrales festgestellt hat, experimentierte Venezuela mit heterodoxer Stabilisierung (1985-1988), Schocktherapie (1989-1992), Gradualismus (1996-1998), Reformen durch „Sonderrechte“ für die Exekutive (frühe 1980er, 1993-1994, 1998), Reformen durch Verhandlungen mit den Oppositionsparteien (1996-1998), Stabilisierung durch Preiskontrollen (späte 1980er und 1994-1996), tiefgreifender Handelsliberalisierung (1989-1993), Zugeständnissen an die wirtschaftlichen Verlierer der Handelsliberalisierung (1994-1998) und direkten Subventionen für sozial schwächere Schichten (1990-1992)19. Die Versuche wurden üblicherweise abgebrochen, bevor sie vollständig eingeführt werden konnten, oder litten unter wesentlichen Verzerrungen bei der Implementierung. Wirtschaftsreformen wurden ständig sabotiert: Von Regierungen, die sie nicht vor der balkanisierten Raubtierpolitik des Landes schützen konnten, von unfähigen und korrupten Institutionen, die für die Implementierung zuständig waren, oder von unerwarteten Erhöhungen des Ölpreises, die jegliche Bereitschaft zunichte machten, Reformen einzuführen. Von daher überrascht es nicht, dass die Interamerikanische Entwicklungsbank (Interamerican Development Bank) Venezuela unter allen Ländern Lateinamerikas und der Karibik der Gruppe der „langsamen Reformer“ zuordnete20. Diese Realität stellte für Politiker kein Hindernis dar, deren Wahlkampagnen auf der Botschaft der unerträglichen sozialen Konsequenzen wirtschaftlicher Reformen beruhten.

Sowohl Rafael Caldera (1994-1999) als auch Hugo Chávez verließen sich in ihren erfolgreichen Wahlkampagnen auf die vernichtende Geißelung des „Raubtierkapitalismus“, der durch die von Washington aufgezwungenen neoliberalen Reformen entfesselt worden sein soll und vor allem die Armen betroffen haben soll. Wie jedoch ausführlich dokumentiert worden ist, waren die Versuche, neoliberale Reformen in Venezuela einzuführen, bescheiden, von kurzer Dauer, ungeschickt durchgeführt und wurden oft rückgängig gemacht. Trotz der politischen Destabilisierung, die sie auslösten, griffen die Reformen in Venezuela im Vergleich zu den Bedürfnissen des Landes und zu dem, was die meisten anderen Länder Lateinamerikas während der 1990er einführten, deutlich zu kurz.

Das Steuersystem Venezuelas, seine Arbeits- und Sozialgesetze, der Gesundheits- und Bildungssektor, das Wohnungswesen, Unternehmen im Staatsbesitz wie z.B. die Öl- und petrochemische Industrie, die Landwirtschaft und fast alle Institutionen des öffentlichen Sektors sowie ein großer Teil des Rechtssystems bedürfen dringend einer Reform und der Modernisierung. Das Land – und vor allem seine Armen – sind die Opfer eines Jahrzehnts des politischen Stillstands und eng gefasster nationaler Debatten, die Reformen unmöglich gemacht haben.

Venezuela ist ein Opfer der Globalisierung

Wenn man die Globalisierung durch die Anzahl, Vielfalt und Intensität der Verknüpfungen eines Landes mit dem Rest der Welt definiert, dann war die Globalisierung der venezolanischen Wirtschaft und Gesellschaft während der 1990er weder schnell noch intensiv. Tatsächlich hing sie im Vergleich mit anderen großen lateinamerikanischen Staaten und selbst kleineren Ländern wie Chile und der Dominikanischen Republik zurück. Trotz des enormen Umfangs seines internationalen Ölhandels belegt Venezuela im Globalisierungsindex (A.T. Kearney/Foreign Policy Magazine Globalization Index) nur den 36. Platz. Der Index ordnet eine Auswahl von 50 Ländern gemäß ihren Interaktionen mit dem Rest der Welt ein22. Es mag sein, dass die Globalisierung nicht die Lösung für die vielen Probleme des Landes ist, aber das heutige Venezuela hat davon zu wenig erfahren, als dass es ein größeres Problem darstellen könnte.

Die Produktion und die Ausfuhr des Erdöls und die damit verbundenen internationalen Finanzströme haben seit jeher die stärkste Verbindung zwischen Venezuela und dem Rest der Welt gebildet. Diese Verbindung behielt ihre Bedeutung in den 1990ern, einem Jahrzehnt, das auch zu neuen ausländischen Investitionen in den Bereichen Telekommunikation, Finanzwirtschaft und Energie führte. Im gleichen Zeitraum wuchs der Handel und die Investitionen mit Kolumbien deutlich, und es entstand darüber hinaus eine venezolanische Diaspora im Ausland, die zu einer neuen Art von internationalen Beziehungen – vor allem in Form von Geldüberweisungen – führte. Dennoch waren diese neuen internationalen Verbindungen zu wenige und zu schwach. Sie reichten nicht aus, um den Rückgang oder die Stagnation bei anderen Formen der internationalen Integration zu kompensieren. Die Anzahl der im Ausland studierenden Venezolaner ging ebenfalls dramatisch zurück. 1982 studierten allein in den USA 15.000 venezolanische Studenten; 1999 war die Zahl auf 5.133 gefallen.

Viele multinationale Unternehmen wickelten ihre venezolanischen Filialen ab oder verkleinerten sie; neue ausländische Investitionen in Branchen außer Energie und Finanzen waren sehr begrenzt, und die Zahl ausländischer Touristen brach in der zweiten Hälfte der 1990er ein. Aruba, eine winzige Insel vor Venezuelas Küste, zieht pro Jahr mehr als eine Million Touristen an, die Dominikanische Republik mehr als 2 Millionen und Mexiko über 17 Millionen. 1999 und 2000 besuchten jedoch nur 300.000 Touristen Venezuela. Bezogen auf ausländische Portfolioinvestitionen befindet sich Venezuela auf dem 36. von 50 Plätzen, wobei die Gesamtströme über die vergangenen fünf Jahre wenig mehr als ein Prozent des BIP ausmachten. Im selben Zeitraum betrugen die internationalen Portfolioströme in Argentinien etwa 3% vom BIP, 4,45% in Brasilien, 3,47% in Kolumbien und 9,44% in Chile24. Der wissenschaftliche, kulturelle und künstlerische Austausch hat ebenfalls unter den Finanzkrisen, der institutionellen Unruhe und der hohen Kriminalitätsrate gelitten, die internationale Besucher abschreckt. Der Konsum ausländischer Bücher und Zeitschriften hat ebenfalls abgenommen. Am Ende der 1990er lag er unter den Werten für vergleichbare Länder Lateinamerikas25. Während das Internet, bezogen auf die Anzahl der Nutzer, Server, Portale und eCommerce im Rest der Region und vor allem in den größten Ländern boomt, hinkt Venezuela hinterher. Das Land liegt in einer Auswahl von 50 Ländern bezogen auf die Anzahl von Internet-Hosts pro Million Einwohner an 40. Stelle. 1998 gab es in Venezuela 340 Internet-Hosts pro Million Einwohner, während es in Argentinien 1.827, in Chile 2.030 und in Kolumbien 397 waren26. Ein deutlicher Hinweis auf die vergleichsweise geringe internationale Integration von Venezuela ist, dass der Zusammenbruch seines Bankensystems Mitte der 1990er Jahre fast keinerlei internationale Auswirkungen hatte. In ähnlicher Weise hatte der sogenannte „Tequila-Effekt“, der sich als Folge des finanziellen Zusammenbruchs Mexikos durch alle lateinamerikanischen Wirtschaften verbreitete, auf Venezuelas Wirtschaft kaum Auswirkungen.

Venezuela war auch mit einer Abnahme seiner internationalen politischen Integration konfrontiert. Die oberen und mittleren Ebenen von Acción Democrática und COPEI setzten sich im Rahmen der Mitgliedschaft dieser Parteien in den internationalen sozialdemokratischen oder christlich-demokratischen Bewegungen mit internationalen Konzepten auseinander. Als Folge des abnehmenden Interesses der Parteien an ideologischen Debatten sowie ihrer schwachen Führung und ihren unablässigen Krisen wurde die Teilnahme der Parteien an diesen Institutionen größtenteils symbolisch, so dass die Parteien und ihre politischen Initiativen noch weniger von den Ideen beeinflusst wurden, die anderenorts diskutiert wurden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Globalisierung für Venezuela bisher vor allem eine Quelle verpasster Chancen gewesen ist – und nicht eine wichtige Quelle von Problemen.

Schlussbetrachtung: Was geschieht als nächstes in Venezuela?

Präsident Chávez ist ein höchst charismatischer und scharfsinniger Politiker. Aber Charisma und Scharfsinn allein reichen nicht aus, um den außergewöhnlichen Aufstieg von Chávez und seine fast vollständige Dominanz in der venezolanischen Politik zu erklären. Was Hugo Chávez von seinen politischen Rivalen unterscheidet, ist nicht allein seine unheimliche Fähigkeit, seine Botschaft an den tiefsten Glaubenssätzen der großen Mehrheit der Bevölkerung auszurichten, sondern seine hochmotivierte Bereitschaft, die kollektive Wut und die sozialen Ressentiments anzuzapfen, die andere Politiker entweder nicht gesehen haben, nicht anheizen wollten oder – was am wahrscheinlichsten ist – aufgrund persönlicher Interessen nicht verschlimmern wollten. Chávez brach mit der Tradition der klassenübergreifenden politischen Parteien und der Illusion der sozialen Harmonie, die in Venezuela für vier Jahrzehnte galten. Seine Rhetorik basiert auf der unablässigen Wiederholung der Glaubenssätze, die den Kern der nationalen Selbstkenntnis (ein reiches Land, von Politikern geplündert) und Lösungskonzepten (indem wir die Korruption eliminieren, werden wir alle reich) ausmachen. Darüber hinaus richtet sich Chávez, im Gegensatz zu anderen Politikern, an die emotionalen Bedürfnisse einer zutiefst demoralisierten Nation. Dies tut er durch eine oft unzusammenhängende, aber dennoch sehr wirkungsvolle Mischung von bolivarianischen Sound-Bites, Christentum, kollektivem Utopismus, Baseball und Eingeborenen-Kosmogonie, die mit Hetzreden gegen die Oligarchie, den Neoliberalismus, ausländische Verschwörungen und die Globalisierung gewürzt wird.

Die persönlichen Merkmale von Chávez und die Umstände, in denen sich das Land befindet, trafen also aufeinander, um ihn nicht nur zum beliebtesten Präsidenten der jüngeren Geschichte zu machen, sondern um seine Regierung darüber hinaus mit einem enormen politischen Kapital auszustatten. Ferner hat die Spitze der Erdölpreise in 1999 und 2000 die öffentlichen Finanzen gestärkt und seiner Regierung viel Freiraum zum Manövrieren gegeben. In jedem dieser beiden Jahre erhielt Venezuela zusätzliche unerwartete Öleinnahmen, die 11% seines BIP entsprachen. Unglücklicherweise gibt es bisher keine Anzeichen dafür, dass Präsident Chávez diese beispiellose Chance nutzen wird, um Reformen einzuführen, die die Armut verringern, die Ungleichheit reduzieren oder die Wirtschaft Venezuelas auf einen nachhaltigen und stabilen Wachstumspfad setzen werden. Dieses Versagen beruht weniger auf ideologischen Gründen als vielmehr auf reiner Inkompetenz. Neben den außergewöhnlich stark ausgeprägten politischen Instinkten und kommunikativen Fähigkeiten von Chávez wird er am stärksten durch sein Desinteresse für die Prinzipien des Regierungshandelns charakterisiert. Politische Führer müssen nicht unbedingt gute Verwalter sein. Aber um erfolgreich zu sein, müssen politische Führer ein Talent dafür haben, kompetente Mitarbeiter zu identifizieren und zu rekrutieren. Selbst Chávez’ engste Verbündete geben zu, dass er es bisher versäumt hat, ein Team mit den Fähigkeiten und Talenten zu versammeln, die benötigt werden, um die schwierigen Herausforderungen zu meistern, die seine Regierung konfrontieren. Internationale Beobachter stimmen dem zu. Eine Umfrage unter den höchstrangigen Mitarbeitern multilateraler Organisationen mit Sitz in Washington, D.C., die Ende 2000 durchgeführt wurde, schätzt das venezolanischen Regierungskabinett als eines der fünf schlechtesten in Lateinamerika und der Karibik ein.

Die Inkompetenz dieser Regierung ist auf verschiedene Ursachen zurückzuführen, von denen nicht alle Präsident Chávez zugerechnet werden können. Er erbte ein zutiefst beschädigtes institutionelles Umfeld, in dem die meisten öffentlichen Institutionen kaum funktionieren konnten. Venezuela verfügte noch nie über einen bedeutenden Pool von Beamten. Die politischen Alliierten von Chávez stammen aus dem Militär und von der Linken, und keine dieser Gruppen hatte bisher die Möglichkeit zu regieren, weshalb sie nicht über die notwendige Erfahrung verfügt. Aber selbst unter Berücksichtigung dieser Punkte muss festgestellt werden, dass die Unerfahrenheit von Chávez sowie seine übertriebene Fixierung auf die Loyalität als wichtigstes und oft einziges Kriterium für die Auswahl seiner wichtigsten Mitarbeiter zu einem katastrophal unfähigen Team geführt haben. Die Ölfirma PDVSA, einst einer der weltweit am höchsten angesehenen Ölbetriebe im staatlichen Besitz, wurde von den von Chávez ernannten Gefolgsleuten mit katastrophalen Folgen „restrukturiert“. Nachdem Chávez den zweiten von ihm ernannten Vorsitzenden gefeuert hatte, wählte er zwei Generäle ohne Branchenerfahrung, um PDVSA und die U.S.-amerikanische Tochterfirma CITGO zu leiten. Etwa 80 Prozent der Top-Manager von PDVSA haben entweder gekündigt oder wurden gezwungen zu gehen. Die Chávez-Regierung hat neue Untiefen der Unfähigkeit ergründet, und das in einem Land, in dem die Effizienz des öffentlichen Sektors von jeher sehr gering war. Dies gilt gleichermaßen für das Organisieren von nationalen Wahlen (einem Prozess, der in Venezuela seit vielen Jahrzehnten erfolgreich durchgeführt worden war), den Wiederaufbau von Stadtgebieten, die 1999 von Schlamm- und Erdrutschen verwüstet wurden, die Formulierung eines ernstzunehmenden Wirtschaftskonzeptes und die Implementierung von sozialen Programmen.

Viele politische Führer haben sich trotz ihrer Inkompetenz oder fallenden Lebensstandards an der Macht gehalten, und die Vorliebe von Chávez für konstante Kampagnenführung kann zu einer verstärkten Toleranz gegenüber seinem Regierungsversagen führen. Obwohl Chávez jedoch gegenwärtig so beliebt ist, könnte die Nichteinhaltung der Versprechen seiner Regierung in Verbindung mit der stetigen Verschlechterung der Lebensbedingungen dazu führen, dass seine Beliebtheit abnimmt und die politische Situation instabiler wird. Außerdem provoziert Chávez trotz seiner hohen Beliebtheit auch eine intensive Feindseligkeit bei einer bedeutenden Minderheit der Venezolaner, so dass er zum am stärksten polarisierenden politischen Akteur seit Jahrzehnten geworden ist.

Es ist natürlich auch möglich, dass Präsident Chávez erkennt, wie wichtig es ist, eine wirksamerer Regierungspolitik zu betreiben und eine bei weitem kompetentere Mannschaft um sich zu versammeln. Vielleicht gibt er auch seine Zurückhaltung auf, seine politische Reformen durch wirtschaftliche Reformen zu ergänzen. Bisher hat es allerdings keine Anzeichen dafür gegeben, dass Chávez über die Fähigkeiten oder die Bereitschaft verfügt, die tatsächliche Leistungsfähigkeit seiner Regierung zu steigern oder sein politisches Kapital in die Art von wirtschaftlichen Reformen zu investieren, die er mit solcher Leidenschaft und Überzeugung kritisiert (und die die meisten Venezolaner ebenfalls ablehnen). Chávez hat bisher sehr erfolgreich seine Macht vermehrt, und es ist eher nicht zu erwarten, dass er die Notwendigkeit erkennt, eine Strategie zu verändern, die bisher so erfolgreich war.

Es besteht aber die Gefahr, dass die schwachen Leistungen der Regierung durch abnehmende Öleinnahmen weiter verschlechtert werden, was zu sozialer und politischer Instabilität führen könnte. Die Frage, bis zu welchem Maße Präsident Chávez sich durch die demokratischen Spielregeln gebunden fühlt, wenn es um Angriffe gegen seine Autorität geht, lässt sich bisher nicht beantworten. Ein hochrangiger Beamter der Chávez-Regierung sagte in einem Interview im Dezember 2000, dass „das gegenwärtige Klima der Bürgerrechte die Belastungen der leidenschaftlichen Liebesaffäre zwischen dem venezolanischen Volk und Hugo Chávez am Ende des 20. Jahrhunderts nicht überleben könnte28.“ Diese Besorgnis wurde vom brasilianischen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso aufgegriffen, der Hugo Chávez als „unbewussten Autokraten29“ beschrieb.

Eine weitere in weiten Kreisen befürchtete Möglichkeit besteht darin, dass Präsident Chávez internationale Konflikte, insbesondere mit Kolumbien, angesichts abnehmender Beliebtheit und zunehmender Unzufriedenheit anheizen könnte30. Wenn die Befürchtungen hinsichtlich der autoritären Vorlieben von Chávez sich als richtig herausstellen sollten und er tatsächlich zu einem weiteren Dritte-Welt-Diktator wird, dann würde damit klar, dass er eher ein Überbleibsel aus der Vergangenheit als ein Zukunftsbote ist – es sei denn, man nimmt an, dass die populistische Autokratie in den Entwicklungsländern das Modell der Zukunft ist.

Wie auch immer sich Venezuela politisch entwickelt, müssen seine politischen Führer die Venezolaner davon überzeugen, die Irrglauben abzulegen, die bisher den Fortschritt des Landes behindert haben. Die Venezolaner müssen davon überzeugt werden, dass das Erdöl eine unzureichende und unzuverlässige Einnahmequelle ist – und nicht eine Wohlstandsgarantie für jedermann. Sie müssen auch erkennen, dass – angesichts dessen, was sie über die zügellose Korruption und ruinöse Ineffizienz fast aller öffentlicher Institutionen wissen – es Zeit ist, die Hoffnung aufzugeben, dass der Staat allzu viele Aufgaben zuverlässig durchführen kann. Den Wirkungsbereich des Staates einzuschränken, ist die beste Möglichkeit, ihn zu stärken und seine Fähigkeit wieder herzustellen, die kritischen Aufgaben durchzuführen, die er aufgrund chronischer Überbelastung lange Zeit nicht durchführen konnte. Sie müssen auch davon überzeugt werden, dass Wirtschaftsreformen, die das Land auf ein solideres Fundament stellen, nicht die Ursache für die Armut sind – sondern langfristig die einzig mögliche Lösung.

Die politischen Führer Venezuelas sollten auch betonen, dass die Korruption nicht dadurch unterbunden wird, dass man sich auf dieselben juristischen Drohungen und moralischen Aufrufe verlässt, die seit vier Jahrzehnten nicht funktionieren, sondern allein dadurch, dass die Anreize und Gelegenheiten zur Korruption verringert werden. Schließlich müssen die Führer erkennen, dass die globale Integration des Landes begrenzt ist – trotz dem kosmopolitischen Eindruck der wichtigsten Metropolen, dem modischen Erscheinungsbild seiner Mittelschicht und dem Umfang seines Ölhandels. Die überwiegende Mehrheit der Venezolaner, einschließlich großer Teile seiner Elite, lebt als Folge der schwachen wirtschaftlichen, politischen, kulturellen, wissenschaftlichen und technologischen Bindungen mit anderen Ländern in einer relativen internationalen Abgeschiedenheit. Wirtschaftreformen, eine breitere internationale Integration und eine geringere, konzentriertere Rolle des Staates sind für die enormen Probleme Venezuelas kein Allheilmittel. Aber sie sind konkrete Schritte auf dem Weg zu einer hoffnungsvolleren und nachhaltigen Zukunft.

Es ist leicht, die Entwicklung Venezuelas einfach als ein weiteres Beispiel der vielen Kleptokratien aufzuführen, die in Afrika oder der ehemaligen Sovietunion aufblühten. Es ist sicherlich richtig anzunehmen, dass mehrere venezolanische Regierungen die Schatztruhen des Landes und sein demokratisches Engagement entleert haben und dadurch einem Offizier des Militärs und seinen Verbündeten den Weg zur Machtübernahme bereitet haben. Diese Ansicht lässt aber zahlreiche spezielle und wichtige Lektionen aus, die die Entwicklung Venezuelas bietet. Vor allem ignoriert sie die schädlichen Auswirkungen der nationalen Besessenheit damit, dem Anschein, wenn nicht der Wirklichkeit, der Kleptokratie zu entkommen. So verständlich die beliebte Suche nach Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit erscheinen mag, so birgt sie doch die Gefahr, das Land an falsche Auffassungen zu binden, die die Möglichkeit zur Einführung einer besseren Politik begrenzen. Eine solche Suche macht Venezolaner gegenüber der Wirklichkeit blind, dass viele ihrer Probleme auf den Schwächen der Konzeptionen ihrer politischen Führer basieren – und nicht einfach auf einem Mangel an Moral.

Obwohl dieser Text vor etwas mehr als zwei Jahren geschrieben wurde, treffen die darin dargelegten Argumente und Schlussfolgerungen noch immer zu.

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1- Herausgeber von Foreign Policy Magazine und von 1989 bis 1990 venezolanischer Wirtschaftsminister. Danksagung an: Robert Bottome, Thomas Carothers, Javier Corrales, James Gibney, Janet Kelly, Jose Malave, Minxin Pei, Michael Penfold, Ricardo Penfold und Marina Ottaway für ihre wertvollen Anmerkungen. Es gilt der übliche Haftungsausschluss. Eine kürzere Ausgabe dieses Essays erschien in: Journal of Democracy, April 2000, Band 12, Nr. 2.

2- Laut den Ergebnissen einer Suchanfrage in Lexis/Nexis war Hugo Chávez die am häufigsten von internationalen Medien zitierte venezolanische Persönlichkeit zwischen 1989 und 2000.

3- Siehe „Goodbye to Venezuelan Exceptionalism“ von Daniel Levine im Journal of Inter-American Studies and World Affairs, Bd. 26 Nr. 4 S. 145-182 und „Recent Venezuelan Political Studies“ von Steve Ellner im Latin American Research Review, Bd. 32, Nr. 2, 1999, S. 201-218.

4- In Venezuela wurden innerhalb von nur 18 Monaten fünf landesweite Wahlen und Referenden durchgeführt.

5- Im Jahr 2000 veranstaltete das Bildungsministerium einen landesweiten Aufsatzwettbewerb für Schüler der Sekundarstufe. Das Thema lautete „Ernesto Che Guevara, ein Vorbild für die Jugend“.

6- Eine kürzlich erschienene Analyse, die auf dieser Art von Interpretation des venezolanischen Falls basiert: „In the Shadow of the Liberator: Hugo Chávez and the Transformation of Venezuela“ von Richard Gott, erschienen bei Verso 2000 in London im Jahr 2000. Siehe auch Angela Zago: „La Rebelion de Los Angeles“ (Caracas, Fuentes Editores, 1992 ), Juan Liscano: „Los Vicios del Sistema“ (Caracas; Vadell Hermanos, 1992). Mit dieser Ansicht rechtfertigten Präsident Chávez und seine verbündeten Offiziere ihren fehlgeschlagenen Staatsstreich von 1992. Siehe „Carta de los Oficiales del MBR 2000” in: Enrique Ochoa Antich, „Carta a los Militares de Nuestra Generacion“ (Caracas, Fuentes Editores, 1992) sowie Alberto Garrido: „Guerrilla y Conspiracion Militar en Venezuela: Testimonios de Douglas Bravo, William Izarra y Francisco Prada“ (Merida, Editorial Venezolana, 1999).

7- Laut einer Umfrage vom August 2000, „Analisis del Entorno Sociopolitico Venezolano“ von Alfredo Keller y Asociados (Caracas, August 2000).

8- In konstanten US-Dollar von 1999. Im Jahr 2000 stiegen die Ölpreise stark an und trugen US$15 Milliarden an außergewöhnlichen Einnahmen bei, die, gemäß einer lange etablierten Tradition, prompt von der Regierung ausgegeben wurden. Siehe Gerver Torres, op. cit. S. 36.

9- Siehe Terry Lynn Karl: „The Paradox of Plenty: Oil Booms and Petro States“ (Berkeley, University of California Press, 1997).

10- The World Bank: World Development Indicators, verschiedene Jahrgänge, Gerver Torres: „Un Sueno para Venezuela“ (Caracas, Banco Venezolano de Credito, 2000).

11- Carlos Leite und Jens Wedmann: „Does Mother nature Corrupt? Natural Resources, Corruption and Economic Growth“ IMF Working Paper WP/99/85. Siehe auch Terry Karl, op. cit.

12- Zitiert in Gerver Torres, „Un Sueno Para Venezuela“ (Caracas, Banco Venezolano de Credito, 2000) S. 48 fn 6.

13- Siehe Anibal Romero, „Rearranging the Deck Chairs in the Titanic: The Agony of Democracy in Venezuela“ im Latin American Research Review Bd. 32 Nr. 1, 1997 S. 7-36.

14- Paradoxerweise ist der durchschnittliche Gini-Koeffizient für Venezuela niedriger als für den Rest von Südamerika, obwohl die Ungleichheit zweifellos eine wichtige Tatsache in Venezuela darstellt. Nur drei Länder der Region (Uruguay, Costa Rica und Peru) hatten eine gerechtere Wohlstandsverteilung als Venezuela. IDB Economic and Social Progress in Latin America: 2000 Report (Washington DC; IDB, 2000) S. 6. Politischer ist es allerdings relevanter, dass Venezuela während der 1990er eine der stärksten Zunahmen der Ungleichheit im weltweiten Vergleich durchlebte. Siehe Miguel Szekeli und Marianne Hilgert „The 1990s in Latin America: Another decade of persistent inequality“ Working Paper, IDB 2000.

15- Diese Einstellung liegt auch der explosionsartigen Zunahme der Kriminalität zugrunde, die das Land verwüstet hat. Eine der von Präsident Chávez am häufigsten verwendeten Attacken gegen die von ihm demontierte politische Ordnung ist, dass der meiste persönliche Reichtum durch den Staat, durch Korruption oder auf Kosten der Armen erworben wurde. Chávez hat in der Vergangenheit auch betont, dass er versteht, warum Arme sich dazu gezwungen sehen zu stehlen, und dass er selbst dies auch tun würde, wenn er so leben müsste, wie es die meisten Venezolaner tun. Der Zusammenbruch der Leistungsfähigkeit der Polizei und des Strafsystems haben kriminelle Handlungen auch weniger riskant gemacht. Heutzutage lohnen sich Verbrechen in Venezuela. Die soziale Legitimität und Akzeptanz, die politische Toleranz, rechtliche Straffreiheit sowie der Mangel an Alternativen bedeuten, dass es ein Beruf mit niedrigen Kosten, hohen Renditen und geringem Risiko ist. Im Jahr 2000 stand Venezuela in der Rangliste der gewalttätigsten Länder der Welt am sechsten Platz, mit 25,1 Verbrechen mit gewaltsamem, tödlichen Ausgang pro 100.000 Einwohner. Die Kriminalitätsrate hat sich seit 1990 verdoppelt. Siehe Veneconomia Weekly, Bd. 18, Nr. 45, 11. Oktober 2000.

16- Siehe Javier Corrales: „Reform-Lagging States and the Question of Devaluation: Venezuela's response to the exogenous shocks of 1997-1998“ in: Carol Wise and Riordan Roett: „Exchange Rate Politics in Latin America“ (Washington, D. C.; Brookings Institution, 2000).

17- Siehe Michael Penfold-Becerra: „El Colapso del Sistema de Partidos en Venezuela: Explicacion de una Muerte Anunciada“ mimeo IESA 1999 sowie Javier Corrales: „Venezuela in the 1980s, the 1990s and Beyond: Why citizen-detached parties imperil economic governance“ in DRCLASNEWS, Herbst 1999, S. 26-30. Beispiele für die Literatur, die die oligarchische Art des venezolanischen Systems betont, siehe Pablo Medina „Rebeliones: Una Larga Conversacion con Maria Cristina Iglesias y Farruco Sesto“ (Caracas, Privatdruck, 1999), Goff op. cit. und Zago op. cit.

18- Für eine hervorragende Analyse der politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen der politischen Zentralisierung in Venezuela, siehe Michael Penfold-Becerra „Federalism and Institutional Change in Venezuela“ in: Edward Gibson, Hrsg.: „Representing Regions: Federalism and Territorial Politics in Latin America“ (Johns Hopkins University Press) sowie Jose Molina und Carmen Perez „Evolution of the Party System in Venezuela, 1946-1993,“ Journal of Interamerican Studies and World Affairs; Bd. 40 Nr. 2, Herbst 1998, S. 1-25.

19- Javier Corrales: „Venezuela in the 1980s, the 1990s and Beyond: Why citizen-detached parties imperil economic governance“ in DRCLASNEWS, Herbst 1999. S. 26-30.

20- IDB, Economic and Social Progress in Latin America: 1997 Report (Washington, IDB, 1997) Siehe Tabelle 4. Seite 50.

21- Siehe IDB, Economic and Social Progress in Latin America: 1998 Report (Washington DC, IDB, 1998); siehe auch Javier Corrales: „Reform-Lagging States and the Question of Devaluation: Venezuela's response to the exogenous shocks of 1997-1998“ in Carol Wise and Riordan Roett: „Exchange Rate Politics in Latin America“ (Washington, D.C.; Brookings Institution, 2000)

22- Siehe Foreign Policy Magazine, Januar-Februar 2001, S. 62-63. Auch www.foreignpolicy.com.

23- Institute for International Education „Open Doors: Annual survey of international students at U. S. Universities“ (New York, IIE, 1999).

24- A.T. Kearney/Foreign Policy Magazine Globalization Index. In: Foreign Policy Magazine, Januar-Februar 2001. Siehe auch www.foreignpolicy.com.

25- „Distribucion de libros y revistas en Venezuela: Estudio de mercado“ Editora El Nacional; Internal memorandum, 1998.

26- A.T. Kearney/Foreign Policy Magazine Globalization Index. - op. cit.

27- Präsenz- und Telefoninterviews, die der Verfasser mit 14 Mitgliedern von multilateralen Organisationen durchführte, die in Washington basiert sind (im Dezember 2000 und Januar 2001). Die Frage lautete: Wie schätzen Sie das gegenwärtige venezolanische Kabinett im Vergleich mit allen anderen in Lateinamerika in Bezug auf seine fachliche Kompetenz ein: Unter den fünf Besten? Unter den zehn Besten? Unter den fünfzehn Besten? Unter den zehn Schlechtesten? Unter den fünf Schlechtesten? Alle Befragten wählten die Option „Unter den fünf Schlechtesten“.

28- Vom Verfasser durchgeführtes Interview; Caracas, 19. Dezember 2000.

29- Interview im brasilianischen Magazin Epoca, 5. März 2000.

30- Dieser alte Trick aus der Mottenkiste aller belagerten Präsidenten wird von den extremeren Gegnern von Chávez begrüßt, die hoffen, dass ein selbstverschuldetes Debakel zum politischen Untergang von Chávez führen könnte. Sie nennen es das „Galtieri-Szenario“, benannt nach dem Oberhaupt der argentinischen Junta, der einen katastrophalen Krieg gegen England verlor, wodurch die Pforte für die Wiedereinführung einer demokratischen Regierung in Argentinien aufgestoßen wurde.



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