Venezuela: Präsident Hugo Chavez
von Hero Buss
Schwer unter Druck - Der venezolanische Präsident Hugo Chavez muss um sein Amt fürchten, und der staatseigene Energiekonzern PDVSA steuert in eine Krise. Die Förderanlagen müssen dringend erneuert werden und die Staatskasse ist leer. Immer wenn revolutionäre Regierungen die Macht übernehmen, verkommen Statistiken anscheinend automatisch zur Lotterie. Auch Venezuela macht da keine Ausnahme. Seit 1999 führt die "Bolivarianische Revolution" die Geschäfte, an der Spitze Ex-Oberst Hugo Chavez, der es vom gescheiterten Putschisten (1992) zum gewählten Staatschef Venezuelas brachte. Und mit seinem Einzug in den Präsidentenpalast verbreiten sich bei der Herstellung von Zahlenwerk
immer häufiger realsozialistische Sitten. Venezuela lebt vom Erdöl. Zum ersten Mal seit Bohrung der ersten Brunnen findet eine bizarre Debatte darüber statt, wie viel von seinem flüssigen Gold das Land hebt. Rund drei Mio. Fass pro Tag ist die von der Opec zugestandene Quote, und genau diese Menge werde gefördert, sagt Ali Rodriguez, ein früherer Guerillero, der sich im Selbststudium Fakten über das Erdölgeschäft angeeignet hat und vom Comandante Chavez dafür mit dem Posten des Präsidenten des staatlichen Erdölkonzerns "Petroleos de Venezuela S.A."belohnt wurde.
PDVSA ist das Herzstück der venezolanischen Wirtschaft. Für lateinamerikanische Verhältnisse ein Mammutunternehmen. PDVSA setzt jährlich rund 55 Mrd. Dollar um, davon 35 Mrd. in Europa und den USA, wo eine Tochter (Citgo) 14 000 Tankstellen betreibt und fast zehn Prozent des US-Spritmarkts bedient. Der Staatskonzern fördert außerdem täglich sieben Mrd. Kubikfuß Gas (fünftgrößte Reserven der Welt), jährlich 7,6 Mio. Tonnen Kohle, produziert 7,2 Mio. Tonnen petrochemische Produkte und hat eine Raffineriekapazität von 4,5 Mio. Fass am Tag im In- und Ausland aufgebaut - die allerdings seit Jahren nicht ausgelastet ist.
All diese Zahlen trafen bis vor drei Jahren zu und sind heute eher Schätzwerte. Denn seit zwei Jahren hat PDVSA keine ordentliche Bilanz mehr vorgelegt, was zum Konflikt mit der US-Börsenaufsicht (SEC) geführt hat. Mögliche Konsequenz: Der US-Anleihenmarkt könnte für Venezuela zugesperrt werden. Bei den gegenwärtig hohen Rohölpreisen allerdings kein drückendes Problem für das Land. Im Gegenteil, meinen die Chavistas in Caracas. Venezuelas Finanzministerium hat in den vergangenen Wochen internationale Schuldentitel über 2,5 Mrd. Dollar zurückgekauft. Seit 2002 haben sich die Schulden von PDVSA von sieben auf weniger als zwei Mrd. Dollar verringert. Bei Null Schulden entfiele auch die Pflicht, die SEC regelmäßig und aufrichtig zu informieren Dennoch bleibt die Frage, warum ein Konzernchef flunkert, wenn es um Produktionszahlen geht. Opec-Monatsberichte, die Internationale Energieagentur und selbst die Zentralbank Venezuelas beziffern die Tagesproduktion der PDVSA übereinstimmend auf 2,4 bis 2,6 Mio. Fass. Nur Don Ali und sein Präsident Chaves bleiben hartnäckig bei ihren 3,1 Millionen. Das habe wohl vor allem mit Innenpolitik zu tun, meint German Garcia Velutini, Präsident der angesehen Privatbank "Banco Venezolano de Credito".
Hugo Chavez habe in seinen fünf Amtsjahren die Staatsinstitution, Wirtschaft, Finanzen und auch PDVSA "zerstört". Zurzeit wolle er "Unruhe vermeiden", denn für den 15. August steht ein Referendum an, das über seinen Verbleib im Amt entscheidet. Fakten, die belegen, dass der Erdölriese in der vielleicht tiefsten Krise seiner Unternehmensgeschichte steckt, wären da wenig hilfreich.
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Ganz neu sind Krisenszenarien nicht - zumindest nicht in den vergangenen drei Jahrzehnten. Dass es in Venezuela Erdöl gibt, wussten die Spanier schon wenige Jahre nach der Konquista, denn es quoll in vielen Landesteilen aus dem Boden. Ab 1539 verschifften sie Teer für die Werften im Mutterland, 1878 ging eine Ladung in die USA für die ersten Asphaltstrassen in Washington und New York.
1922 begann die industrielle Förderung. Aus dem Bohrloch "Borrosos 2" einer texanischen Firma am Ostufer des Maracaibo-Sees nahe der kolumbianischen Grenze schießt eine Leichtölfontäne von fast hundert Meter hoch. Noch aus zwei Kilometern Distanz ist sie sichtbar. Trotz vergleichsweise rudimentärer Förderermethoden liefert "Borroso 2" ein Jahrzehnt lang rund 100 000 Fass am Tag, eine Goldmine für den Besitzer. Dutzende weiterer US-Firmen werden von der Bonanza angelockt. Im Golf von Venezuela wächst ein Wald von Fördertürmen. Fünfzig Jahre lang herrschte vorwiegend Eintracht. Die Gringos erschlossen immer neue Felder.
Die Produktionskapazität stieg ständig und erreichte 1970 mit 3,5 Mio. Fass am Tag ihren Höhepunkt. Venezuela, ein Agrarstaat mit gerade einmal zehn Millionen Einwohnern, freute sich über einen langen warmen Dollarregen. Zwei vorausschauende Präsidenten nutzten den neuen Reichtum, um die gesamten Staatsschulden zu begleichen. Andere machten neue Schulden.
Nur einmal mucken die Arbeiter auf. 1936 legten sie zum ersten Mal die Arbeit nieder. Grund: Die US-Firmen versorgten in der heißen Golfregion nur ihre Landsleute mit eisgekühltem Wasser. Das venezolanische Personal verlangte Gleichstellung. "La huelga del agua fria", der "Streik um kaltes Wasser" ging aber schnell zu Ende. Die Gringos lenkten ein.
Anfang der Siebziger Jahre wurde der Zenit erreicht. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von über 7000 US-Dollar pro Kopf zog Venezuela gleich mit Spanien und übertraf um Längen Länder wie Korea und Singapur. Der breite Mittelstand deckte sich mit 6- und 8-Zylinder-Karrossen aus den USA ein, der Whisky-Konsum per Kopf stieg rapide. Hunderttausende Kolumbianer kamen als Gastarbeiter über die Grenze. Die Politiker suggerierten, so werde es auf ewig weiter gehen. Ein Irrtum, wie sich bald zeigte. Die Boomjahre gingen erst einmal zu Ende mit der Nationalisierung der Erdölwirtschaft 1976 durch den sozialdemokratischen Präsidenten Carlos Andres Perez. Es war eine sanfte Übernahme. Alle Verträge mit den 14 in Venezuela tätigen ausländischen Gesellschaften wurden respektiert. Die letzten liefen 1982 aus. Die Förderkapazität aber stürzte auf 2,5 Mio. Fass pro Tag ab, und erst 1998, im Jahr vor dem Einzug von Hugo Chavez in den Regierungspalast, übertraf sie schließlich mit 3,79 Fass am Tag das Topniveau von 1972. PDVSA galt in der Fachwelt als relativ gut geführter Konzern. Er zahlte Weltmarktlöhne und bildete kontinuierlich eine große Zahl von Fachkräften aus. Was sich dann auch in Zahlen niederschlug. In den 22 Jahren nach der Nationalisierung stiegen zum Beispiel die nachgewiesenen Rohölreserven um ein Vierfaches.
Aber es gab auch Kritik. In einem Umfeld wachsender Armut lebte das PDVSA-Personal (weniger als ein Prozent der arbeitsfähigen Venezolaner) wie in der Ersten Welt. Der Energieriese entwickelte sich zum Staat im Staat. PDVSA-Präsidenten kippten gelegentlich Minister oder führten eigenständige Verhandlungen mit Institutionen wie Weltbank oder Interamerikanische Entwicklungsbank (BID).
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Vor zehn Jahren kamen die Ausländer zurück - und damit auch frisches Geld für Investitionen. Die Regierung verfügte eine "Öffnung": Mit internationalen Unternehmen wurden Förderverträge gestattet. Modell: Nach Abzug von Steuern und Lizenzgebühren (rund sechzig Prozent) verkaufen die Ausländer ihr Rohöl an PDVSA. Der Export bleibt Staatsmonopol. Die Multis rechneten und kamen zu dem Schluss: Es lohnt sich. Gesellschaften aus Großbritannien, Holland, USA, Kanada, Norwegen und Frankreich etablierten sich in Venezuela und kommen heute auf eine gemeinsame Fördermenge von knapp über einer Mio. Fass pro Tag. Chavez begann seine Regierungszeit mit einem Weltmarktpreis für Rohöl von neun Dollar. Heute hat sich der Referenzpreis mehr als vervierfacht. Die Regierung müsste eigentlich in Geld schwimmen, PDVSA vor Gesundheit strotzen. Stattdessen navigieren beide in einer schweren Krise, vor allem aus zwei Gründen:
Die politische Übernahme des Monopolunternehmen, vollzogen in Salami-Taktik führte zu Aufruhrstimmung beim Personal, die in einen Generalstreik zum Jahreswechsel 2002/03 mündete.
Chavez sah den Ausstand als Chance für den großen Gegenschlag: 18 000 von 40 000 Angestellten wurden zwischen Januar und April 2003 gefeuert, davon fatalerweise 67 Prozent des hoch qualifizierten technischen Personals. Seitdem sind Berichte aus den einzelnen Produktionszweigen des Staatskonzerns eine Sammlung von Pleiten und Pannen: Bohrköpfe treffen mit Monaten Verspätung ein, Rotoren für Kühlanlagen bersten regelmäßig, Turbinen hauchen ihr Leben aus, Brunnen versiegen wegen "vergessener" Erhaltungsinvestitionen. Allein um die Förderkapazität zu erhalten, müssten jährlich fünf bis sechs Mrd. Dollar investiert werden.
Unabhängige Experten glauben, dass "PDVSA für das Volk" dieses Niveau nicht erreicht. Und der kräftige Anstieg der Weltmarktpreise wurde in Venezuela begleitet von einer Ausgabenexplosion im öffentlichen Sektor. Trotz Dollarschwemme ist der Haushalt Jahr für Jahr kräftig unterfinanziert. Chávez zweigt immer größere Summen in Sonderfonds "für soziale Entwicklung" ab, die keiner ernsthaften Kontrolle unterliegen. Seine Kampagne, um am 15. August eine Abwahl zu verhindern, entwickelte sich zu einem weiteren Dollargrab. Die neue Bonanza scheint auch revolutionärer Moral abträglich zu sein. Unternehmerkreise in Caracas schätzen, dass Drainage der Staatskassen durch Korruption jährlich "mehrere Milliarden" Dollar kostet.
Doch, zumindest einen Lichtblick aus Volkes Perspektive gibt es im venezolanischen Erdölgeschäft. Ein Liter Benzin kostet fünf Dollarcents, ein Sechzig-Liter-Tank kann also mit gerade einmal drei Dollar gefüllt werden. Das ist der Gegenwert von vier Liter Trinkwasser im Supermarkt.
"Wir brauchen hohe Investitionen"
DIE WELT: Das Erdölgeschäft boomt. Venezuela verfügt über immense Reserven. Warum sinkt in Ihrem Land die Produktion?
Ignacio Layrisse: Einige meiner Landsleute verkaufen das seit Jahren als "vorsichtigen Umgang" mit Naturressourcen. Was grober Unfug ist.
DIE WELT: Warum?
Layrisse: Beim heutigen Produktionsniveau reichen unsere Reserven weit mehr als zweihundert Jahre. Bei einer Produktion von zehn Millionen Fass am Tag, dem Vierfachen der jetzigen Förderung, wären es noch siebzig Jahre. Irgendwann sitzen wir wohl weiter auf einem See von Erdöl, aber einem nicht verkaufbaren.
DIE WELT: Die Nachfrage scheint auf einige Jahre auf hohem Niveau zu bleiben. Haben Sie eine andere Prognose?
Layrisse: Das Ölzeitalter wird mit Entwicklung neuer Technologien und Energiequellen zu Ende gehen, nicht wegen Versiegens der Reserven. Wer kann schon übersehen, wie die Welt in siebzig oder 140 Jahren aussieht. Auch die Steinzeit endete nicht wegen Mangels an Steinen.
DIE WELT: Also kräftig die Produktion hoch treiben?
Layrisse: Ja, aber das ist zurzeit in Venezuela nur Theorie. Wir brauchen dazu hohe Auslandsinvestitionen und hoch qualifiziertes Personal. An beidem fehlt es. Stattdessen haben wir die Revolutionsregierung von Hugo Chavez.
DIE WELT: Mit welchen konkreten Auswirkungen?
Layrisse: Nach dem Generalstreik im vergangenen Jahr hat die Regierung nicht nur zwei Drittel der Spitzenkräfte, sondern auch 12 300, 67 Prozent, der führenden Techniker gefeuert. Die Jobs, von denen eine effiziente Produktion abhängt, sind nach politischen Kriterien besetzt worden. Überall häufen sich Pannen. Die Tagesproduktion ist von 3,1 auf 2,5 Millionen Fass gesunken.
DIE WELT: Nicht reparabel?
Layrisse: Doch. Aber es wird Jahre dauern, weil es zu wenig Geld gibt für Erhaltungsinvestitionen und Erschließung neuer Brunnen. Milliardenbeträge fließen stattdessen in kaum zu kontrollierende Sonderfonds, angeblich für soziale Projekte.
DIE WELT: Der Krösus Venezuela- eine Legende der Vergangenheit?
Layrisse: 1974 brachte das Erdölgeschäft jedem Venezolaner ein statistisches Jahreseinkommen von 3268 Dollar. Heute sind es gerade noch fünfhundert.
Mit Ignacio Layrisse, dem Ex-Präsident der PDVSA für Exploration und Produktion sprach Hero Buss
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