Menschenrechte in Venezuela
Von Alida Ruiz de Höbener
16.06.04 - Die Pressekonferenz mit der FAZ, ZDF und dem Hessischen Rundfunk über die Verletzung der Menschenrechte in Venezuela hat mich sehr nachdenklich gemacht. Die Erklärungen und Ausführungen von Herrn Merhi und Herrn Boyd über die Verletzung der Menschenrechte in Venezuela durch Chávez und seine Anhänger waren sehr gut, objektiv und ruhig vorgetragen, was bei einem solchen Thema sehr schwierig ist.
Ganz ohne Zweifel stellt Chávez eine große Gefahr für das Land, für dessen Demokratie, für die Pressefreiheit und für die Menschenrechte dar, die in der Charta von Rom beschrieben sind. Und wir brauchen dringend die Hilfe der internationalen Gemeinschaft um diesen Präsidenten zu stoppen, der alles, worauf die Venezolaner stolz sind, mit Füssen tritt: unsere Erdölindustrie, unsere Demokratie, unsere pazifistische Mentalität, unsere Toleranz, unser multikulturelles Zusammenleben in einem Einwanderungsland und das friedliche Nebeneinander zweier Klassen. Aber Letzteres ist gerade der Schlüssel, der springende Punkt, wo sich die Geister trennen. In den mehr als achtzig Jahren, in denen Venezuela eines der erdölproduzierenden und –liefernden Länder, ja sogar das einzige erdölproduzierende westliche Land war, mit dem daraus resultierenden Reichtum für das Land, waren unsere Regierungen nicht fähig die großen Unterschiede zwischen den beiden herausragenden Gesellschaftsschichten auszumerzen. Besonders während der fast fünfzig Jahre Demokratie haben die gewählten Parteien und Regierenden den großen Reichtum des Landes nicht zu Gunsten der unteren Klassen und zum allgemeinen Wohlstand des Landes zu nutzen gewusst bzw. nicht nutzen wollen. Genau dies hat dazu geführt, dass ein Chávez auf der Bildfläche erscheinen konnte. Jedes Volk, so wird gesagt, hat die Regierung, die es verdient: und wir haben alles mögliche getan, um uns einen Chávez zu verdienen.
Um jetzt zu erreichen, dass die internationale Gemeinschaft und vor allem die Länder der westlichen Hemisphäre ihre Augen auf die Situation in unserem Land richten, reicht es nicht, dass wir all das erwähnen, was eigentlich ohnehin jedem ins Auge springen sollte: dass unsere Regierung unsere Erdölindustrie ruiniert, dass wir uns am Rande eines Bürgerkrieges befinden, dass unsere Regierung das Recht ihres Volkes auf freie Meinungsäußerung nicht respektiert, das Recht Opposition auszuüben missachtet, das Recht auf friedliche Demonstrationen verletzt, indem sie auf offener Strasse auf die Demonstranten schiesst. Gerade wir Venezolaner, die bereits seit vielen Jahren in Europa leben und die Situation auf diesem Kontinent und in unserem Land kennen, sollten nicht über die Sorge der Beobachter um das Wohlergehen der armen Bevölkerung Venezuelas erstaunt sein. Wir sollten vielmehr beachten, dass es mindestens genauso wichtig ist, die Welt merken zu lassen, dass jene Teile der venezolanischen Bevölkerung, die bisher den privilegierten Minderheiten angehörten und jetzt unter Chávez die angeklagten Klassen sind, die sogenannten Oligarchen, gegen die sich der ganze Hass richtet, der die Manipulation der armen Massen ermöglicht, - dass wir jetzt endlich unsere Lektion gelernt haben.
Wenn wir in einer Pressekonferenz in Europa die Verletzung der Menschenrechte und der Pressefreiheit in Venezuela anprangern und gleichzeitig erklären, dass in unserem Land 80% der Bevölkerung in Armut lebt, dürfen wir uns nicht darüber wundern, wenn unsere Zuhörer über diese zweite Nachricht mindestens genauso erschrecken wie über die erste. So wie die Präsentation von Käse, Yoghurt oder Spaghetti und anderen Konsumartikel sich in ganz Europa ähnelt, so ähnelt sich auch die Situation der Konsumenten in ganz Europa, zumindest verglichen mit unserem Land. In ganz Europa gelten dieselben Grundrechte der Charta der Vereinten Nationen: nicht nur die Meinungsfreiheit, die Menschenrechte, sondern auch das Recht auf Arbeit, auf gerechten Lohn (Art. 23), das Recht auf einen Lebensstandard, der der Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztlicher Versorgung und notwendiger sozialer Leistungen (Art. 25), das Recht auf Bildung und unentgeltlichen Schulunterricht (Art. 26).
So wie wir die anderen Länder davon überzeugen wollen, dass wir ihre Hilfe brauchen, um die chavistischen Verbrechen gegen die Menschenrechte endlich zu beenden, so müssen wir als Anhänger der venezolanischen Opposition die internationale Gemeinschaft ebenfalls davon überzeugen, dass wir danach bereit sind mit den sozialen Ungerechtigkeiten aufzuräumen oder, um es etwas drastischer auszudrücken, dass wir bereit sind alles menschenmögliche zu unternehmen um die Verbrechen gegen die elementarsten Grundrechte von Menschen zu vermeiden, die von den Regierungen vor der Chavezära begangen wurden. Kein venezolanischer Vater sollte weniger Lohn erhalten als der Grundwarenkorb kostet, kein venezolanischer Kranke sollte früher sterben, nur weil er arm ist und sich keine geeignete ärztliche Versorgung leisten kann, keine venezolanische Mutter sollte um vier Uhr morgens anstehen müssen um einen Schulplatz für ihr Kind zu erhalten, kein Venezolaner sollte Analphabet sein. Wir sind eine privilegierte Nation, weil wir über die Reichtümer verfügen, die uns den Wohlstand unserer Bürger ermöglichen. Und dies muss unser Ziel nach Chávez sein.
Europa wollte und will nicht, dass sich ein Hitler oder ein Mussolini wiederholen, Venezuela will nicht, dass sich ein Chávez wiederholt und dafür dürfen wir nicht wieder den Versuchungen aus der Zeit vor Chávez erliegen. Venezuela wird nach Chávez niemals wieder dasselbe Land sein, es sollte ein besseres werden.
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