Hugo Chávez und die Presse in Venezuela
Von Aleksander Boyd
Kurz nachdem er sein Studium der Politikwissenschaften beendet hatte, führte Hugo Chávez 1992 einen Staatsstreich gegen einen demokratisch gewählten Präsidenten (Carlos Andrés Pérez) durch. Dieser Putschversuch kostete mehr als 100 Personen das Leben und hinterließ unzählige Verletzte. Die Erklärungen von Chávez nach dem missglückten Putschversuch am 27. Februar 1992 verschafften ihm eine Welle der Sympathie im venezolanischen Volk. Die wenigen Augenblicke, die die Erklärung von Chávez an die Medien nach seiner Festnahme dauerten, waren der Katapult für seine künftige politische Karriere.
Wenig erfuhr man von ihm während seiner politischen Haft in San Carlos. Sobald er vom Präsidenten Rafael Caldera amnestiert worden war, begann die Hassliebe zwischen dem befreiten Häftling und den Medien. Zu Beginn seiner politischen Karriere im Jahre 1995 herrschte die höfliche und freundschaftliche Sprache zwischen den Medienvertretern und Chávez vor. Der Direktor und Inhaber der Tageszeitung El Nacional nahm ihn in seinem Hause auf, der Inhaber der größten privaten Fluggesellschaft stellte ihm ein Flugzeug zur Verfügung, damit er damit die vier Himmelsrichtungen der venezolanischen Geographie während seiner Wahlkampagne bereisen konnte.
Andere Medien interviewten ihn ununterbrochen, jeder wollte ihn in seinem Programm haben, der Putschist verkörperte die venezolanische Wiedergeburt: die Rettung. Selbst der Arbeiterbund und die Arbeitgebervereinigung wandten sich ihm zu. Seine Rhetorik und seine einfache Ausdrucksweise kamen sehr gut an. Alle Gesellschaftsgruppen fühlten sich auf eine gewisse Weise von ihm vertreten und identifizierten sich mit seiner Sprache. Vergessen war sein Putschversuch gegen Pérez, denn niemand zweifelte auch nur einen Augenblick an seiner ehrlichen Absicht, Änderungen für das Land zu wollen. Im Jahr 1998 gewinnt Chávez die Wahlen. Die ersten zwei Regierungsjahre vergehen ohne negative oder positive Vorkommnisse, obwohl hinter den Kulissen schon die Vernunftbeziehung zwischen dem Präsidenten und den Medien zu bröckeln begann. Einige Verfassungsänderungen weckten Zweifel und der Tenor der Artikel über Chávez, die den Zweck der grundlegenden Verfassungsänderungen auf institutioneller Ebene in Frage stellten, wechselte von wohlwollend zu ablehnend.
Besonders erwähnt werden sollte die Maßnahme, die von der verfassungsgebenden Versammlung am 22. Dezember 1999 in vollkommener Missachtung sowohl der damals noch geltenden sowie der künftigen Verfassung beschlossen wurde: alle existierenden Staatsgewalten aufzuheben. Damals wurde also die neue Nationalversammlung gegründet - und auf diese Weise auf das Zweikammernsystem verzichtet, das bis dahin existiert hatte. Es wurden neue Richter für den Obersten Gerichtshof ernannt, es wurde ein neuer Generalstaatsanwalt bestimmt und ein neuer Bürgeranwalt, ein neuer Präsident der Obersten Rechnungsprüfungsbehörde und neue Mitglieder des Nationalen Wahlrates.
So wie die Medien daran gewöhnt waren in offener Form über die Exzesse der Regierenden zu berichten, begannen sie nun einen anderen Hugo Chávez zu beschreiben, was diesem sehr missfiel. Ein Präsident, der die von ihm geförderte Verfassung missachtet und seine Wahlversprechen von tiefgreifenden Änderungen nicht einhält, und stattdessen autoritärer wird, weckt in jedem Land der Welt Misstrauen. So begann der Trennungsprozess von Chávez und den Medien. Gleichzeitig stieß der aggressive und respektlose Ton des Präsidenten sowohl seine Anhänger als auch seine Widersacher ab. Jetzt, wo er die Spitze der Macht erreicht hatte, wurden jene, die ihn öffentlich anprangerten, zum Ziel seiner Verbalattacken. Eine ganze Latte von Beleidigungen, Gewaltandrohungen und Warnungen von Seiten des Präsidenten haben die Konfrontationsstimmung zwischen dem Präsidialamt und den privaten Fernsehkanälen angeheizt. Am 11. April 2002 beging der Präsident abermals einen klaren Verfassungsbruch und Missachtung der Bürgerrechte. Artikel 28 der Verfassung besagt „Jeder Mensch hat das Recht auf Information...“ Während weniger als einen Kilometer von ihm entfernt unbewaffnete Bürger von den Bolivarianischen Zirkeln und anderen Lakaien des Staates ermordet wurden, lies Chávez die Sendesignale der Privatsender stören und ging mit eigenen Kundgebungen auf Sendung. Doch die Medien haben weiterhin die Exzesse des Regimes gefilmt; es werden weiterhin anklagende Programme ausgestrahlt; Dokumentarfilme zeigen weiterhin eine Realität, die für den Rest der Welt unbekannt ist; all dies hat natürlich den Hass des Präsidenten auf die Medien gezogen. Die Presse in Venezuela ist zum unerwünschten Zeugen oder besser noch zum einzigen und bis jetzt nicht ausschaltbaren Risiko für Hugo Chávez geworden.
Angesichts dessen können wir nur noch bestätigen, dass die Medien in Venezuela die einzige Institution sind, die die Regierung bis zu einem gewissen Punkt nicht willkürlich kontrollieren kann. Daher haben regierungstreue Abgeordnete, nachdem sie zuvor vom Präsidenten Instruktionen erhalten hatten, die Vorlage eines Knebelgesetzes befürwortet, welches das Verfassungsrecht auf Information zu zensieren und zu kontrollieren sucht. Ohne Zweifel möchte man das Land in einen Zustand der absoluten Wehrlosigkeit führen, indem die Information verstaatlicht wird. Wenn dieses Gesetz verabschiedet wird wäre das Verkehrsministerium dafür zuständig zu entscheiden, welche Informationsinhalte die privaten Fernsehkanäle und die Presse dem Land übermitteln dürfen.
Die venezolanischen Bürger wenden sich an die Medien um jede Art von Anschuldigungen vorzubringen, die sonst unbeachtet blieben. Es waren die Medien, die am 11. April 2002 die Entscheidung der Exekutive, ihr Sendesignal zu blockieren, missachteten und auf dem Bildschirm die Bilder der Erschießungen von der Brücke Puente Laguno aus einblendeten. Es waren die Medien, die der Welt die unzähligen Menschenrechtsverletzungen zeigten, die in den vergangenen fünf Jahren begangen wurden. Die Medien waren die Einzigen, die mit der Wahrheit eine gegenteilige Sicht der Dinge von der offiziellen Version zeigten. Es waren die Medien, die Helden im Bewusstsein des Volkes ersetzten, als sie Bilder wie die von Elinor Montes zeigten, die nur mit ihrem Mut und einer Fahne bewaffnet von der Guardia Nacional auf die brutalste Weise, zur Freude der Regierungsanhänger, angegriffen wurde.
Ich möchte nicht die subjektive Sichtweise von vielen Journalisten in Venezuela verteidigen, aber vor Bildern, die die Greueltaten der Anhänger des Regimes zeigen, bleibt wenig Raum für Subjektivität. Die vielen Toten, Verwundeten, Gefolterten, die Verfolgten und politischen Gefangenen und die Verschwundenen sind nicht das Produkt der fiebrigen Phantasie der Hersteller von Informationsprogrammen der venezolanischen Medien, sondern ganz ernste Realität, die uns erbarmungslos anblickt, egal wie sehr Hugo Chávez versucht, sie zu verdecken
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