Der „Unterschriftenzweifel“ und die Gewalt in Venezuela
Ismael Pérez Vigil, Politologe
1. März 2004. Der Prozess der Unterschriftensammlung für das Abwahl-Referendum wurde unter der exklusiven Schirmherrschaft des Nationalen Wahlamtes (CNE) durchgeführt. Dieses Organ hatte am 25. September 2003 im ersten Artikel der Normen, die er verabschiedete, seine Rolle die ihm zukommt folgendermassen definiert: “... übernimmt die Regelung von Organisation, Verwaltung, Leitung und Überwachung aller Aktionen die mit Referenda zu tun haben, die mit der Widerrufung der Mandate von öffentlichen Ämtern verbunden sind und welche über Volkswahlen zustande kamen“.
Diesen Normen folgend entschied der CNE über folgende Details:
* wer die Unterschriftensammlung einberufen kann,
* wer die Unterschrift leisten kann und wer nicht,
* das Datum festlegen, um sie einzuberufen,
* die Formfrage und die erforderlichen Daten (Vor- und Zuname, Unterschrift, Personalausweisnummer und Daumenabdruck) feststellen,
* die Orte zu definieren, wo die Unterschrift geleistet werden kann,
* die Formulierung der Frage festlegen, so wie sie erscheinen musste,
* daen Typ von Sicherheitspapier, auf dem die Unterschriften niedergebracht werden müssen aufzeigen,
* die Ernennung und Vorbereitung von 2 Beobachtern des CNE für jedes der Sammelzentren koordinieren,
* die Festlegung der Anzahl der Unterschriftensammler für jedes Zentrum definieren,
* Autorisierung der Augenzeugen beider Teile (Regierungssympathisanten und Opposition) vornehmen,
* Autorisierung der internationalen Beobachter durchführen,
* zu einer Übereinkunft mit den Militärs kommen, damit diese den ganzen Prozess überwachen.
Deshalb muss logischerweise der CNE al der Hauptverantwortliche für jegliche Unregelmäßigkeit oder Anormalität, die sich hätte ergeben können, bezeichnet werden. Dieser Verantwortung versucht er jetzt zu entgehen.
Eine Großzahl von Personen versuchte damals deutlich zu machen, dass diese Normen absurd seien und dass sie sich in Hindernisse für die Ausübung des konstitutionellen Rechtes verwandeln könnten. Aber die Opposition akzeptierte sie und konnte, trotz aller dieser Schwierigkeiten, mehr als 3.4. Millionen Unterschriften einsammeln, eine Million mehr als für die Forderung nötig waren, um einen Widerrufungsprozess des Mandates zu fordern.
Angesichts dieser Situation blieb der regierungsfreundlichen Mehrheit des CNE (die Herren Carrasquero, Rodríguez und Bataglini) nichts anderes übrig, als nachträglich die Spielregeln zu ändern und zu behaupten, dass alle Beteiligten, die die Abberufung wollten, nicht nur unterschreiben und ihren einen Daumendruck hätten abgeben müssen, sondern auch das Formular persönlich mit dem Rest der Daten hätte ausfüllen sollen.
Diese Norm befand sich zu Beginn des Einsammelprozesses nicht unter den Definitionen; jetzt könnten damit mehr als 700 Unterschriften als ungültig erklärt werden. Um zu „verhindern“, dass das geschieht, will der CNE jetzt, dass jeder der entsprechenden Unterzeichneten den Beweis dafür bringt, dass er tatsächlich die Unterschrift leistete. Das ist nun unter dem Namen „Unterschriftenzweifel“ bekannt geworden, der nicht nur einen Wechsel in den vorher definierten Spielregeln beinhaltet, sondern auch eine Verletzung des Prinzips darstellt, wonach den Unterschriftleistenden oder Wählern die „gute Absicht“ zugestanden werden muss und dass auf jeden Fall dem CNE oder jedem, der Zweifel hat, die Beweislast für die Ungültigkeit der Unterschrift zukommt.
Angesichts dieser Situation und in Anbetracht von Präzedenzfällen die es gab – die Aufhebung durch den Obersten Gerichtshof eines Konsultiv-Referendums, das im Februar des Jahres 2003 hätte stattfinden sollen, das Ignorieren von fast 3 Millionen von Unterschriften, die im August besagten Jahres dem CNE übergeben worden waren, um ein Abberufungs-Referendum zu fordern, die vielen bürokratischen Hindernisse etc. – hat die Demokratische Koordinierungsstelle dieses Kriterium abgelehnt, als der CNE seine Entscheidung für die Nichtanerkennung der Unterschriften bekannt gab. Ebenso erkannte er den 3 regierungsfreundlichen Rektoren des CNE ihre Legitimität ab und rief zu einem Protestmarsch für den 27. Februar auf. Dieser wurde von der Nationalgarde gewalttätig unterdrückt und seitdem haben sich in vielen Teilen von Caracas und in vielen Städten des Landesinneren ein agressives Klima ziviler Proteste ausgebreitet.
send this article to a friend >>